Ein unbeschreibliches Gefuehl
die Frau ganz klar die Aufnehmende, und die Angst vor Schwangerschaften hat es den Frauen lange Zeit erschwert, sich in der Sexualität frei und selbstbestimmt zu fühlen. Doch seit Frauen selbst entscheiden können, ob sie ein Kind bekommen oder nicht, seit also Sexualität und Zeugung voneinander abkoppelbar sind, sind die Geschlechtermodelle ins Wanken geraten. So erleben es junge Frauen beispielsweise heute, dass die Männer sich zunehmend schwertun, »erobernd« auf sie zuzugehen. Vielfach sind es die Frauen, die heute diesen Part übernehmen. Ein gesellschaftlicher Prozess ist hier in Gang gekommen, der im Vergleich zur Beauvoirschen Beschreibung ein vielfältigeres Bild auch der weiblichen Sexualität entstehen lässt.
Beauvoirs Grundthese war, dass Weiblichkeit eine kulturelle Zuschreibung von außen ist. Diese These entspricht der existenzialistischen Überzeugung, dass der einzelne Mensch nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern nur in seinem Zusammenspiel mit anderen. Wir ringen um unsere eigene Authentizität immer im Austausch mit anderen, die ihre jeweils eigene Sicht auf unsere Person haben und damit unsere Existenz bestätigen, aber zugleich unsere Freiheit begrenzen. Dabei spielt der Blick als Metapher eine wichtige Rolle. Jean-Paul Sartre spricht vom Blick des »Anderen« auf uns. Dieser Blick macht uns bewusst, dass wir existieren. Aber er legt uns gleichzeitig auch fest (auf das Bild, das der andere von uns hat) und macht uns damit zum Objekt. Auch hier gilt, dass wir uns im Gegenzug selbst entwerfen, unsere eigene Wahl treffen müssen – damit verliert der Blick des »Anderen« seine bestimmende Macht, weil wir handelnd selbst entscheiden, wer wir sind.
Die Blick-Metapher findet sich auch in Sartres Erörterungen über die Liebe. Indem wir lieben, setzen wir uns dem Blick des geliebten Menschen aus. In »Das Sein und das Nichts« heißt es: »Der Geliebte ist Blick. « Wir möchten so geliebt werden, wie wir sind, können aber nicht verhindern, dass der andere, in seiner Freiheit, seinen eigenen Blick auf uns hat, der nicht dem unseren entspricht. Wir wollen gesehen werden und nehmen dabei in Kauf, dass der Blick, der uns trifft, unsere Freiheit begrenzt und uns zum Objekt macht. Den Ausweg aus diesem Dilemma sucht der Liebende dann in der Verführung. Denn in ihr präsentiert er sich nicht so, wie er ist, sondern macht sich für den anderen bewusst zum Objekt, aber zu einem »bezaubernden«, indem er sich inszeniert: »Verführung heißt, meine Objektheit für Andere ganz und gar und als ein Risiko auf mich nehmen, heißt, mich dem Blick des Anderen auszusetzen, heißt, die Gefahr laufen, gesehen zu werden, um dann einen neuen Anlauf zu nehmen und mir den Anderen in meiner und durch meine Objektheit anzueignen; ich weigere mich, das Gelände zu verlassen, wo ich meine Objektheit erfahre; auf diesem Gelände will ich den Kampf beginnen, indem ich mich zum bezaubernden Objekt mache.«
In diesem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Objektwerden, Selbstsein und Gesehenwerden kommt die Liebe immer wieder an ihre Grenze und muss folglich immer wieder neu versucht werden. Sartre selbst war, wie man weiß, am liebsten der Verführer. Ihm lag mehr daran, Frauen zu erregen, als sich selbst in der sexuellen Begegnung fallenzulassen. Beauvoir hat das einmal seine »Frigidität« genannt. In »Das Sein und das Nichts« schrieb er: »Der Blick des Anderen formt meinen Leib in seiner Nacktheit, lässt ihn entstehen, modelliert ihn, bringt ihn hervor, wie er ist, sieht ihn, wie ich ihn nie sehen werde.«
Auch wenn man Sartres negative Einschätzung der Verführung nicht teilen muss, ist an seinen Gedanken über die Liebe doch viel Wahres: Wir haben keinen Einfluss darauf, wie andere Menschen uns sehen, auch wenn wir uns immer wieder um ein gutes Bild unserer selbst bemühen. Diese Machtlosigkeit, in der wir uns als Objekt erleben, kollidiert mit unserem innersten Wunsch, gesehen zu werden, »wie wir wirklich sind« – aber eben so, dass es ein freundlicher Blick sein möge, der uns trifft. Vor diesem Dilemma stehen wir in allen Beziehungen, und in der Liebe ganz besonders, weil es dort um so viel geht. In der Liebe müssen wir uns dem anderen öffnen und können es doch nur um den Preis unserer Autonomie – das ist ein Wagnis, das auch in lang andauernden Beziehungen immer wieder neu eingegangen werden muss. Ans Ende kommt man damit nie.
Das alles verbrennende Ereignis
L iebe ist ein Ereignis,
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