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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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am Werk. Die Französin bringt eine Menge unschöner Beispiele aus der Kulturgeschichte dafür, wie Frauen sich in dieser Bezogenheit verhalten: Sie definieren sich ausschließlich über den geliebten Mann und ihre Liebe zu ihm. Sie warten endlos auf ihn. Sie werden paranoid über der Frage, ob der Mann sie noch/am meisten/überhaupt liebt. Und so weiter und so fort.
    Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, hat sich zwar einiges geändert, was das Selbstbild und Selbstbewusstsein von Frauen angeht, und Simone de Beauvoir hat dazu viel beigetragen. Aber ihre Schilderungen Liebeskranker sind immer noch aktuell – als guter Kommentar zu all den Bridget-Jones-Geschichten, die von nichts anderem handeln als von der einzig wahren Liebe und von deren ewiger Ungewissheit, vor allem von der! »›Liebst du mich? So sehr wie gestern? Wirst du mich immer lieben?‹ Geschickt stellt sie [die Frau] die Fragen immer dann, wenn die Zeit fehlt oder die Umstände es verbieten, differenzierte und ehrliche Antworten zu geben. Beim Liebesakt, nach überstandener Krankheit, unter Tränen oder auf dem Bahnsteig bedrängt sie ihn. Die Antworten, die sie ihm entringt, benutzt sie als Trophäen. Und wenn sie keine Antworten bekommt, lässt sie das Schweigen sprechen.« Und dann steht der Mann da und gilt, weil er nicht wie gewünscht antworten kann, in Sachen Gefühl als unterentwickelt. Sein Vorteil ist aber, dass er sich durch sich selbst definieren kann und daher nicht derart auf die Liebe der Frau angewiesen ist wie diese auf die seine, sagt Beauvoir.
    Trotzdem ist der Mann in der beschriebenen Geschlechterkonstellation auch nicht zu beneiden, denn das Rollenverhalten, das von ihm erwartet wird, gleicht der Quadratur des Kreises: »Wenn der Ritter zu neuen Abenteuern aufbricht, kränkt er seine Dame. Wenn er aber zu ihren Füßen sitzen bleibt, verachtet sie ihn.« Und weil die Frauen – mangels eigener Entfaltungsmöglichkeiten – von den Männern verlangen, Riesen zu sein, anstatt ihnen ihre normale Statur zuzugestehen, erscheinen die solchermaßen Überhöhten dann nicht selten als Zwerge.
    Was hilft? Die Frauen, sagt Beauvoir, müssen ihre eigene Transzendenz erobern, sprich: sich durch sich selbst und ihren eigenen Gestaltungsspielraum definieren statt durch den Mann. Dann begegnen Liebende einander auf Augenhöhe, dann ist keiner für den anderen wichtiger als umgekehrt. »Die authentische Liebe müsste auf der wechselseitigen Anerkennung zweier Freiheiten beruhen, dann würde jeder der Liebenden sich als sich selbst und als der andere empfinden. Keiner von beiden würde seiner Transzendenz entsagen, keiner würde sich verstümmeln, und gemeinsam würden sie in der Welt Werte und Zwecke entdecken.«
    Das klingt erst mal sehr gut. Und es stimmt einfach, dass eine Liebe umso bessere Chancen hat, je mehr Möglichkeiten der Einzelne besitzt, authentisch zu leben und sich selbst weiterzuentwickeln. Im realen Leben allerdings hat das Paar Sartre/Beauvoir die eigenen Transzendenzen zwar gut geschützt, aber ganz sicher auf Kosten der Transzendenzen anderer. Und zuweilen hat auch Beauvoir heftig gelitten, bis hin zu körperlicher Krankheit – dann nämlich, wenn sie ihre Position auf Platz eins gefährdet glaubte. Die »offene Ehe«, die George und Nena O’Neill 1972 in ihrem gleichnamigen Buch beschrieben haben und die heute in verschiedenartigsten Formen von offenen Beziehungen gelebt wird, erfordert eben sehr viel Toleranz, Selbstbewusstsein und gute Nerven.
    Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Beauvoir, wenn sie auf den weiblichen Körper zu sprechen kommt, dann doch in eine Art Biologismus verfällt: Aus Beauvoirs Sicht, so die Literaturwissenschaftlerin Toril Moi, muss die Frau sich, weil sie keinen Penis besitzt, im Vergleich zum Mann immer als passiv erleben, was natürlich zu einem Konflikt mit ihrem Freiheitsstreben führen wird: »Auch in einer freien Gesellschaft«, so Moi, »wird es immer eine subtile Nichtübereinstimmung zwischen Frauen und ihrer Anatomie geben (›aber ihr Körper ist etwas anderes als sie‹) … Für sie [Beauvoir] werden Frauen und Männer niemals einfach gleich sein.«
    Wenn Beauvoirs psychologische Interpretation der weiblichen Anatomie stimmt, dann hat es die Frau naturgemäß immer schwerer als der Mann, sich in sexuellen Beziehungen als freies Subjekt zu fühlen und zu verhalten. Bis zur Erfindung der »Pille« ist das auch sicher so gewesen. Im Zeugungsprozess ist

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