Ein unbezaehmbarer Verfuehrer
zusammengepresst.
Alistair beugte sich vor, bis seine Lippen fast das Ohr des Lords streiften. „Was wissen Sie?"
Hasselthorpe schüttelte den Kopf. „Ich habe auch nur Gerüchte gehört — was eben so in den höheren Rängen der Armee und im Parlament von Mund zu Mund geht. Es heißt, der Verräter habe eine französische Mutter gehabt."
Einen Moment starrte Alistair in die wässrigen braunen Augen seines Gegenübers, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ raschen Schrittes den Saal. Reynaud St. Aubyns Mutter war Französin gewesen.
Als Alistair zurück in den Salon kam, begutachtete Helen gerade ein handgebundenes Buch von allen Seiten. Doch ihre Finger waren so fahrig, dass sie es fallen ließ, kaum dass sie ihn kommen hörte. Furchtsam, gespannt sah sie ihm entgegen.
„Er hat allen Anspruch auf die Kinder aufgegeben", sagte Alistair ohne Umschweife.
„Oh, Gott sei Dank!", seufzte Helen erleichtert und schloss die Augen.
Alistair fasste sie am Ellenbogen. „Komm, lass uns gehen. Ich glaube, es ist unklug, wenn wir uns unnötig lange hier aufhalten."
Erschreckt sah sie auf. „Du glaubst, er könnte es sich noch anders überlegen?"
„Das bezweifle ich, aber je schneller wir handeln, desto weniger Zeit bleibt ihm, sich darüber Gedanken zu machen", erklärte Alistair, als er sie ungeduldig mit sich zog.
Bei der Tür fiel Helens Blick auf das Bildnis, das Lord St. Aubyn zeigte. „Warte, ich sollte Miss Corning noch eine kurze Nachricht schreiben."
„Wie bitte?" Irritiert blieb er stehen und sah sie an.
„Lord Blanchards Nichte, sie ist sehr nett. Wusstest du, dass sie Bücher bindet? Das hat sie mir eben erzählt."
Alistair schüttelte nur den Kopf. „Du lieber Himmel!" So eilig hielt er auf die Haustür zu, dass Helen kaum mit ihm Schritt halten konnte. „Du kannst ihr später noch schreiben."
„Das werde ich auch", erwiderte sie, als sie in die Kutsche stiegen.
Alistair klopfte kräftig ans Kutschendach, und mit einem Ruck setzten sie sich in Bewegung. „Hast du ihr gesagt, wer du bist?"
„Ich war in ihrem Haus", erwiderte Helen ausweichend. Das Blut stieg ihr in die Wangen, denn natürlich meinte Alistair ihre Beziehung zu Lister. Sie reckte das Kinn vor. „Es wäre unhöflich gewesen, zu lügen."
„Unhöflich vielleicht", brummte er, „aber immer noch besser, als aus dem Haus geworfen zu werden."
Helen senkte den Blick auf ihre Hände, die sie im Schoß gefaltet hielt. „Ich weiß, dass ich nicht ehrenwert bin ..."
„Für mich bist du ehrenwert genug", brummte er.
Sie schaute auf.
Noch immer war sein Blick düster. „Es ist nur wegen der anderen." Er wandte den Blick ab und sagte so leise, dass es kaum noch zu verstehen war: „Ich will nicht, dass andere dich verletzen."
„Ich habe schon lange meinen Frieden geschlossen mit dem, was ich bin — wozu ich mich gemacht habe", sagte sie ruhig. „Ich kann die Vergangenheit nicht ändern mit all ihren Auswirkungen, die sie auf mich und die Kinder hat, aber ich habe die Wahl, all meinen Entscheidungen zum Trotz mein Leben zu leben. Hätte ich Angst davor, verletzt zu werden durch das, was andere über mich reden, würde ich mich vor aller Welt verbergen müssen. Das werde ich nicht tun."
Sie spürte, dass er über ihre Worte nachdachte, doch noch immer mied er ihren Blick. Vielleicht war das das eigentliche Problem zwischen ihnen. Sie hatte sich entschieden, wie sie leben wollte.
Er hatte es noch immer nicht getan.
Nun sah auch sie zur Seite, warf einen kurzen Blick aus dem Kutschenfenster und runzelte irritiert die Stirn. „Wir fahren nicht zu Listers Haus."
„Nein", erwiderte er. „Ich will versuchen, ob ich Etiennes Schiff noch unten am Hafen erreichen kann. Wenn wir uns beeilen und das Glück auf unserer Seite ist, schaffen wir es vielleicht."
Doch als sie eine halbe Stunde später am Hafen angelangten und sich nach dem Schiff erkundigten, zeigte ein reichlich abgerissen aussehender Bursche schweigend auf die Themse hinaus. „Knapp verfehlt", meinte er bedauernd.
Alistair warf dem Mann einen Schilling zu als Dank für seine Hilfe.
„Das tut mir so leid", sagte Helen, als sie wieder in die Kutsche stiegen. „Weil du mir helfen musstest, meine Kinder zu retten, hast du die einzige Gelegenheit verpasst, mit deinem Freund zu sprechen."
Mit einem Achselzucken sah Alistair mürrisch zum Fenster hinaus. „Lässt sich nicht ändern. Stünde ich wieder vor der Wahl, würde ich mich genauso entscheiden.
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