Ein unbezaehmbarer Verfuehrer
Laken hingen bis auf den Boden hinunter. Hmm. Vielleicht wäre eine Haushälterin ja doch keine so schlechte Idee gewesen.
Er kehrte zurück auf den Flur und rief: „Lady Grey!"
Nichts. Nicht der leiseste Laut von über den Steinboden tappenden Hundepfoten.
Die anderen Räume auf dieser Etage waren verschlossen, weshalb er es auf der nächsten versuchte, wo es eine Art Salon gab, den er manchmal nutzte. Angestaubte Sofas standen verloren herum, doch nirgends eine Spur von Lady Grey. Etwas weiter den Gang hinunter lag das Zimmer, in dem er Mrs Halifax untergebracht hatte. Er warf einen kurzen Blick hinein und entdeckte nichts, außer dass sie ihr Bett gemacht und alles ordentlich hinterlassen hatte. Als wäre sie niemals hier gewesen. Fast meinte er, draußen wieder die Räder der abfahrenden Kutsche zu hören. Sentimentaler Unsinn! Er setzte seine Suche fort, doch vergebens. Auch im Hauptgeschoss wurde er nicht fündig und landete schließlich in der Bibliothek.
„Lady Grey!"
Einen Moment stand er nur da, starrte auf die langen Reihen verstaubter Bücher. Ein Streifen warmen Sonnenlichts fiel herein, wo einst einer der Vorhänge heruntergerissen und nie wieder aufgehängt worden war. Manchmal machte Lady Grey hier ihr Nickerchen. Nicht so heute. Alistair runzelte die Stirn. Wo steckte sie nur?
Lady Grey war nicht mehr die Jüngste.
Verdammt!
Er drehte sich um und ging schnell in Richtung Küche. Normalerweise wagte Lady Grey sich nicht ohne ihn hinein, denn sie und Wiggins konnten nicht miteinander. Und meist trieb sein Diener sich eben in der Küche herum. Genau genommen ...
Als er Stimmen hörte, blieb er wie angewurzelt stehen. Hohe, helle Kinderstimmen. Das bildete er sich nun aber wirklich nicht ein — da waren Kinder in seiner Küche! Seltsam, wie froh ihn das stimmte. Sie waren also doch nicht abgereist! Es gab noch Leben in seiner Burg!
Natürlich folgte auf diese erste, unerwartete Gefühlsregung rasch Verärgerung. Wie konnte sie es wagen, sich ihm zu widersetzen? Sie sollte längst auf dem Weg nach Edinburgh sein! Auf der Stelle würde er ihr eine andere Kutsche besorgen und ihren hübschen Hintern, wenn nötig, eigenhändig hineinverfrachten. Hier, auf seiner Burg, in seinem Leben, war kein Platz für eine viel zu attraktive Haushälterin und ihre beiden Gören. Fest entschlossen und entschiedenen Schrittes machte Alistair sich auf den Weg.
Und dann wurden aus dem Kindergebrabbel verständliche Worte.
„... wir können aber nicht zurück nach London, Jamie", sagte das Mädchen.
„Warum nicht?", quengelte der Junge.
„Wegen ihm . Das hat Mama doch gesagt.”
Alistair horchte auf. Mrs Halifax konnte wegen eines Mannes nicht zurück nach London? Was für ein Mann? Ihr Gatte womöglich? Sie hatte sich zwar als Witwe ausgegeben, aber wenn ihr Mann noch lebte und sie ihn verlassen hatte ... Dann hat sie gewiss einen guten Grund gehabt. Verdammt! Vielleicht war sie geschlagen worden. Wenn eine Frau eine schlechte Partie machte, blieben ihr nicht viele Möglichkeiten — eine davon war die Flucht. Nun sah die Sache natürlich gleich ganz anders aus.
Was jedenfalls nicht hieß, dass er sie mit offenen Armen empfangen musste. Alistair spürte, wie sich ein süffisantes Grinsen auf seine Lippen stahl.
Wieder ernüchtert, trat er in die Küche. Die Kinder hockten am anderen Ende des Raumes an der Feuerstelle. Bei seinem Eintreten sprangen beide hastig auf und sahen sich mit schuldbewusster Miene nach ihm um. Zwischen ihnen lag Lady Grey und ließ sich vom kärglichen Feuer wärmen. Sie lag auf dem Rücken, die großen Pfoten alle viere in die Luft gestreckt. Ein wenig verlegen sah sie zu ihm hinüber mit ihren komisch umgestülpten Ohren und machte keinerlei Anstalten, aufzustehen. Warum sollte sie auch? Ganz offensichtlich ließ sie es sich bei den Kinder gut gehen.
Alistair schnaubte grimmig.
Tapfer trat der Junge vor. „Sie hat nichts gemacht, ehrlich! Sie ist ein ganz lieber Hund, wir haben sie nur gestreichelt. Bitte nicht böse sein."
Für was für ein Ungeheuer hielt dieses Kind ihn eigentlich? Alistair sah noch finsterer aus und ging auf die beiden zu. „Wo ist eure Mutter?"
Der Junge warf rasch einen Blick zur Hintertür und wich einen Schritt zurück. „Draußen. Im Hof."
Was wollte sie denn im Hof? Außer den Stallungen war da nichts. Wollte sie Griffin striegeln, seinen Wallach? Ihm Gänseblümchen in die Mähne flechten? Ihr war alles zuzutrauen. „Und was treibt ihr
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