Ein unbezaehmbarer Verfuehrer
Raum, und er bereute es, sie und die Kinder hierhergebracht zu haben. Warum sich öffnen, warum ihnen einen Einblick in sein Leben, seine Vergangenheit geben? Es war ein Fehler.
„Sir Alistair?"
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ja, natürlich war es gefährlich gewesen — so gefährlich, dass er ein Auge eingebüßt hatte, zwei Finger und seinen Stolz. All das war in den weiten, amerikanischen Wäldern zurückgeblieben. Aber das konnte er ihr wohl kaum erzählen. Sie wollte nur ein wenig höfliche Konversation machen.
Eine Antwort blieb ihm erspart, als Jamie plötzlich aufblickte. „Wo ist Lady Grey?"
Die alte Hündin war ihnen nicht in die Bibliothek gefolgt. Alistair zuckte nur die Schultern. „Wahrscheinlich schläft sie im Speisezimmer am Kaminfeuer."
„Aber wenn sie aufwacht, vermisst sie uns bestimmt", sagte Jamie. „Ich geh sie holen."
Schon war er aufgesprungen und aus dem Raum gerannt.
„Jamie!", rief Abigail. „Jamie, nicht so schnell!" Und dann war auch sie verschwunden.
„Bitte entschuldigen Sie", sagte Mrs Halifax.
Irritiert sah er sie an. „Wofür?"
„Sie können so ungestüm sein.”
Wieder zuckte Alistair die Schultern. Er war Kinder nicht gewohnt, aber diese beiden fand er eigentlich ganz unterhaltsam.
„Ich ...", setzte sie an, wurde jedoch von einem spitzen Schrei unterbrochen.
Ohne auf Mrs Halifax zu warten, war Alistair zur Tür hinaus und rannte den Korridor hinunter. Kein weiterer Schrei war dem ersten gefolgt, aber der war definitiv aus dem Speisezimmer gekommen. Vielleicht hatte Abigail einfach nur eine Spinne entdeckt. Doch als er ins Zimmer stürmte, wusste er sofort, was los war.
Lady Grey lag wie erwartet vor dem Kamin. Jamie kniete über ihr und versuchte sie wach zu rütteln. Abigail stand starr und schreckensbleich daneben und hielt sich die Hände vor den Mund.
Nein .
Langsam ging Alistair hinüber an den Kamin. Mrs Halifax folgte in gemessenem Abstand. Stumm starrte Abigail ihn an, Tränen rannen ihr übers Gesicht.
Jamie sah auf, als er ihn kommen hörte. „Sie hat sich wehgetan!", heulte er. „Lady Grey hat sich wehgetan. Sie müssen ihr helfen!"
Alistair kniete neben der alten Hündin nieder und legte ihr die Hand auf den Leib. Sie fing schon an, kalt zu werden. Es musste im Schlaf geschehen sein, während sie bei Tisch gesessen hatten und er Mrs Halifax seine Bibliothek gezeigt hatte, nichts Böses ahnend.
Er musste sich räuspern. „Ich kann nichts mehr für sie tun."
„Doch!", schrie der Junge, ganz rot im Gesicht. Tränen standen in seinen Augen. „Doch, Sie müssen ihr helfen!"
„Jamie", sagte Mrs Halifax leise und versuchte, ihren Sohn am Arm zu nehmen, doch er riss sich von ihr los und warf sich auf den Hund.
Abigail rannte aus dem Zimmer.
Sacht legte Alistair dem Jungen die Hand auf den Kopf und spürte, wie das Kind mit jedem lauten Schluchzer bebte. Vor vielen, vielen Jahren, noch ehe er in die Kolonien gereist war, hatte Sophia ihm Lady Grey geschenkt. Er hatte sie nicht mitgenommen; sie war noch zu jung gewesen, und er hatte Sorge gehabt, dass die lange Seereise ihr nicht bekommen könnte. Doch als er nach drei Jahren zurückgekehrt war — ein gebrochener Mann, dessen Leben nie mehr so sein würde, wie er es sich erhofft hatte —, hatte Lady Grey ihn nicht vergessen. Sie war die Auffahrt hinuntergerannt, um ihn zu begrüßen, war an ihm hochgesprungen und hatte ihre riesigen Pfoten auf seine Schultern gelegt; sie hatte verzückt die Augen geschlossen, als Alistair sie hinter den Ohren kraulte. Bei seinen Streifzügen durch die Natur war sie stets an seiner Seite gewesen, hatte oben bei ihm im Turmzimmer am Kamin gelegen, als er an seinem Buch schrieb. Sie war bei ihm gewesen, wenn er mitten in der Nacht schweißüberströmt aus schrecklichen Träumen hochgeschreckt war, hatte ihre Schnauze in seine Hand gedrückt und ihn getröstet. Sie war all die Jahre seine treueste Gefährtin gewesen.
Alistair schluckte schwer. „Guter Hund", flüsterte er mit rauer Stimme. „Bist ein tapferes Mädchen."
Er strich über ihren Leib, spürte das struppige, bereits erkaltende Fell unter seiner Hand.
„Helfen Sie ihr!" Jamie fuhr hoch und schlug auf die Hand ein, die tröstend auf seinem Kopf gelegen hatte. „Helfen Sie ihr!”
„Das kann ich nicht", sagte Alistair mit erstickter Stimme. „Sie ist tot."
5. Kapitel
Der schöne junge Mann führte Wahrsprecher in den Hof der Burg, wo ein Ziergarten angelegt war. Steinerne
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