Ein unbezaehmbarer Verfuehrer
Kinder liefen aufgeregt hinterher. Er war sich ihrer Hand auf seinem Arm bewusst, des leichten Drucks ihrer Finger, ihrer Wärme neben sich. Frauen, insbesondere schöne Frauen, hielten für gewöhnlich Abstand zu ihm. Doch sie war ihm jetzt so nahe, dass er sogar den Duft der Seife, mit der sie ihr Haar gewaschen hatte, riechen konnte — einen leichten Hauch von Zitrone.
„Da wären wir", meinte er, als sie bei der Bibliothek angelangt waren.
Er machte die Tür auf und ging hinein. Sogleich löste Mrs Halifax sich von ihm, was ihn wenig überraschte, bei ihm aber doch ein Gefühl des Verlustes hinterließ. Sentimentaler Schwachsinn! schalt er sich, er sollte es doch mittlerweile gewohnt sein, dass Frauen vor ihm flüchteten. Er enthielt sich jeder Bemerkung, nahm ihr einfach nur die Kerze aus der Hand und begann, jene in der Bibliothek anzuzünden.
Es war die Bibliothek seines Vaters gewesen und zuvor die seines Großvaters, und im Gegensatz zu den oft rein dekorativen Sammlungen anderer großer Häuser wurde sie tatsächlich genutzt, wurden ihre Bücher gelesen und immer wieder zur Hand genommen. Es war ein lang gestreckter Raum, an dessen Außenwand sich die wohl größten Fenster der Burg befanden — die sich nun jedoch hinter staubigen, seit Jahren nicht zurückgezogenen Vorhängen verbargen. Bis auf den einen, der irgendwann heruntergerissen worden war und Lady Greys nachmittäglichen Sonnenstrahl hereinließ. An den drei anderen Wänden reihten sich über und übervolle Bücherregale, die vom Boden bis zur Decke reichten. Ganz hinten, am Ende des Raums, war ein Kamin, davor zwei altersschwache Stühle und ein schmaler Tisch.
Nachdem er alle Kerzen angezündet hatte, drehte er sich wieder um. Mrs Halifax und die Kinder standen noch immer an der Tür. Der Anblick belustigte ihn. „Nur hereinspaziert", meinte er. „Ich bin mir bewusst, dass es längst nicht so sauber und anheimelnd ist wie das neu zum Leben erweckte Speisezimmer, aber ich denke nicht, dass Sie ernstlich Schaden nehmen werden."
Mrs Halifax murmelte etwas Unverständliches und warf einen vielsagenden Blick auf die Stühle am Kamin. Einer stand etwas schief, da ein Stuhlbein abgebrochen war und er von einem wackeligen Bücherstapel aufrecht gehalten wurde. Abigail fuhr mit dem Finger über eines der Regale und begutachtete den Staub auf ihrer Fingerkuppe.
Jamie kümmerte derlei nicht. Er rannte zu dem großen Globus, reckte sich und meinte dann enttäuscht: „Ich kann England gar nicht sehen."
Kein Wunder, auch der Erdenball war von einer dicken Staubschicht bedeckt.
„Moment, das haben wir gleich." Alistair zückte sein Taschentuch und wischte über den Globus. „So. England ist aus dem Nebel aufgetaucht, ebenso Schottland. Und hier sind wir." Er zeigte auf die Gegend nördlich des Firth of Forth.
Jamie warf einen kurzen Blick darauf. „Und wo ist Ihr Buch?", fragte er dann.
Gute Frage. Alistair ließ seinen Blick durch die Bibliothek schweifen. In letzter Zeit hatte er wenig Grund oder Gelegenheit gehabt, sich seiner eigenen Schriften zu erfreuen. „Ich glaube, da drüben."
Er steuerte eine Ecke an, in der sich etliche großformatige Bände auf dem Boden stapelten.
„Die gehören ins Regal geräumt", bemerkte Mrs Halifax kopfschüttelnd. „Ich fasse es nicht, dass Sie Ihr eigenes Werk einfach so auf dem Boden herumliegen lassen."
Alistair quittierte es mit einem gleichgültigen Schulterzucken und begann dann, mit Jamie den Stapel zu sichten. „Ah, da ist es ja."
Er zog das Buch heraus, legte es auf den Boden und schlug es auf. Sofort legte Jamie sich bäuchlings davor, um jede Seite ganz genau zu betrachten. Abigail setzte sich etwas gesitteter neben ihn und schaute mit hinein.
„Sie müssen etliche Jahre in Neuengland zugebracht haben", meinte Mrs Halifax, die hinter ihren Kindern stand und ihnen über die Schulter sah. „Pass beim Umblättern auf die Seiten auf, Jamie."
Alistair gesellte sich zu ihr. „Drei."
Überrascht sah sie ihn an, ihre blauen Augen unglaublich hell im Kerzenschein. „Wie bitte?"
„Drei Jahre." Er räusperte sich. „Ich war drei Jahre in Neuengland, um Material für dieses Buch zu sammeln."
„Das ist eine lange Zeit. Hat der Krieg Ihre Arbeit nicht behindert?"
„Ganz im Gegenteil. Ich bin stets mit Regimentern der Armee Seiner Majestät gereist."
„Aber war das nicht gefährlich?" Besorgt runzelte sie die Stirn.
Er sah zur Seite. Ihre Augen waren zu schön für diesen trostlosen
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