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Ein unbezaehmbarer Verfuehrer

Titel: Ein unbezaehmbarer Verfuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Hoyt
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Rock und derben Lederstiefeln, einen Schlapphut auf dem Kopf und einen Tornister über der Schulter. In einer Hand hielt er ein Vergrößerungsglas, in der anderen einen Wanderstab. Darunter stand: Die Neue Welt heißt Alistair Munroe, Botaniker Seiner Majestät, willkommen, um ihre Wunder zu entdecken.
    Sollte der Mann mit dem Schlapphut etwa Sir Alistair sein? Helen beugte sich über das Bild und sah genauer hin. Wenn ja, so sah er ihm zumindest nicht ähnlich. Mit seinem kleinen Kirschmund und den rosigen Pausbäckchen sah er eher aus wie eine Frau in Männerkleidern. Sie zog die Nase kraus und blätterte um. Eine kurze Beschreibung der Flora und Fauna Neuenglands von Alistair Munroe stand in großen Lettern auf dem Titelblatt. Und auf der nächsten Seite:

Seiner Majestät
    GEORGE
    von Gottes Gnaden König Großbritanniens
    soll dieses mein Werk zum Wohlgefallen gewidmet sein.
    Euer ergebenster Diener
    Alistair Munroe
    1762
    Sie strich über die Lettern. Das Werk musste dem König tatsächlich über die Maßen gefallen haben, denn sie meinte sich zu erinnern, dass der Autor kurz nach Veröffentlichung des Buches zum Ritter geschlagen worden war. Helen blätterte noch ein wenig weiter und hielt plötzlich inne, Als sie in dem Buch gestern Abend gestöbert hatten, hatte sie ihm nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Die eifrig über die Seiten gebeugten Köpfe der Kinder hatten sie nicht viel erkennen lassen. Aber nun ...
    Auf der vor ihr aufgeschlagenen Seite war die Zeichnung eines blattlosen Zweiges in voller Blüte zu sehen. Die Blütenblätter waren lang und fiedrig, eine jede der bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Blüten handkoloriert in zartviolettem Ton. Darunter ein Zweig mit dem Querschnitt einer Blüte, daneben ein weiterer mit sich öffnenden Blättern in verschiedenen Stadien. Auf einem saß ein prächtiger, schwarzgelber Schmetterling, jedes Bein, jeder Fühler mit zartem, doch präzisem Strich gezeichnet.
    Rhododendron canadense stand unter dem kolorierten Stich. Wie konnte jemand, der so grimmig, so unzivilisiert war, so filigrane, kunstfertige Zeichnungen schaffen? Kopfschüttelnd blätterte sie weiter. Still war es in der Bibliothek. Nichts war zu hören außer dem Regen, der gegen die Fenster trommelte. Stunden könnte sie in diesen Abbildungen schwelgen, und sie hätte nicht sagen können, wie lange sie schon hier stand, ganz versunken in Bilder und Worte, langsam Seite um Seite umblätternd und immer neue Wunder entdeckend.
    Helen wusste nicht, was sie aus ihrer Versenkung riss — ein Geräusch konnte es kaum gewesen sein, denn der prasselnde Regen blendete alles aus, was von draußen hätte hereindringen können —, aber nach einer Weile sah sie auf und runzelte die Stirn. Die Kerze war fast heruntergebrannt. Helen nahm sie, hielt schützend die Hand vor die schwache Flamme und trat aus der Bibliothek. Die große Halle lag dunkel und verlassen, der Regen trommelte gegen die schwere Holztür. Es gab keinerlei Grund für das, was sie nun tat.
    Helen stellte die Kerze beiseite und mühte sich, die Tür aufzuziehen. Erst nach beharrlichem Widerstand gab sie schließlich nach und ließ sich knarrend und ächzend öffnen. Sogleich trieb der Regen herein, durchnässte Helen von Kopf bis Fuß. Die Kälte ließ ihren Atem stocken. Angestrengt schaute sie in die Dunkelheit.
    Nichts.
    Wie töricht sie war! Nass bis auf die Haut und alles umsonst! Gerade wollte sie die Tür wieder schließen, als sie es sah: ein Schatten, eine schemenhafte Gestalt, die sich aus dem Dunkel der Bäume löste. Ein Mann auf einem Pferd. Tiefe Erleichterung überkam sie, die sogleich maßloser Verärgerung wich.
    Hastig eilte sie die Stufen hinunter zur Auffahrt, das Haar vom Regen sofort pitschnass, und machte ihren Sorgen Luft, die sie all die Stunden umgetrieben hatten. „Was denken Sie sich eigentlich? Meinen Sie, ich mühe mich hier den ganzen Tag ab, putze und poliere und überlege mir, was abends auf den Tisch kommen soll, nur damit Sie zu gegebener Stunde durch Abwesenheit glänzen? Ist Ihnen eigentlich klar, dass die Kinder Sie vermisst haben? Jamie war untröstlich. Und die gebratene Ente ist kalt geworden, so lange haben wir auf Sie gewartet. Ich weiß wirklich nicht, wie ich Mrs McCleod beschwichtigen soll, nachdem Sie ihr Essen verschmäht haben. Ihnen sollte klar sein, dass sie hier weit und breit die einzige Köchin ist, die diesen Namen verdient!"
    Er lehnte sich über den Hals seines Pferdes,

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