Ein unerhörter Ehemann (German Edition)
ganz sie selbst zu sein. Verschwunden war die hitzige, frivole Frau des Vorabends.
Das ist auch gut so, redete sie sich ein, denn es ist wichtig, solchen Erfahrungen den ihnen angemessenen Platz zuzuweisen. Es war eine köstliche, unendlich befriedigende Erfahrung gewesen, für die sie ihrem Ehemann wirklich dankbar sein sollte. Denn nun wusste sie, dass sie sich wegen ihrer Hochzeitsnacht – ihrer wahren Hochzeitsnacht mit Sebastian – keine Sorgen machen musste. Jetzt besaß sie Erfahrung – zumindest ein wenig.
Im harschen Morgenlicht sah Gina in ihrem zerrissenen Nachthemd eher zerzaust als verführerisch aus. Sie legte das zerfetzte Kleidungsstück ab und streifte stattdessen ein Unterkleid über. Dabei lag ein leises Lächeln auf ihren Lippen. Es war nicht nur die Erinnerung an die Freuden, die ihr zuteilgeworden waren. Es war die Erinnerung an Cams wilden Blick und seine hastigen Atemzüge. Dieses Erlebnis hatte Wunder gewirkt, um ihre geheime Furcht zu zerstreuen, dass ihr Verlobter sie vielleicht nicht begehrte, weil sie ihm zu alt war. Oder zu steif, zu herzoginnenhaft, zu dünn. Cam schien sie nicht zu dünn zu finden. Zugegeben, die Annullierung wünschte er immer noch. Aber das lag nun einmal in seiner Natur, überlegte Gina. Er würde stets der Verantwortung aus dem Weg gehen wollen, die eine Ehefrau bedeutete. Das Wichtige war, dass er sie letzte Nacht begehrt hatte – und sie wusste nun, wie sie auch Sebastian dazu bringen konnte.
In diesem Augenblick platzte Annie ins Zimmer. Sie begann Ginas Haare zu einem langen Zopf zu flechten und plapperte dabei ohne Unterlass. »Für den Nachmittag ist eine Menge geplant. Die Damen sind herzlich eingeladen, auf der Westwiese Bogenschießen zu üben. Um drei Uhr geben die Chaplins eine Fechtvorstellung. Oh! Und Lady Troubridge lässt anfragen, ob Sie sie begleiten mögen. Sie möchte mit der Ponykutsche ins Dorf fahren. Dort ist ein Baby zur Welt gekommen.«
»Ich würde zu gern das Baby sehen«, überlegte Gina, doch dann fiel ihr Blick auf die Unmenge an Papieren, die sich immer noch auf dem Schemel stapelten. »Aber ich habe so viel zu erledigen.«
»Sie arbeiten zu hart, wirklich«, empörte sich Annie. »So viel Arbeit ist doch nicht gut.«
»Aber diese Briefe müssen beantwortet werden.«
»Möchten Sie heute das Morgenkleid mit den halblangen Ärmeln tragen, Madam?« Annie wusste, wann eine Diskussion, die sie selber begonnen hatte, nutzlos war.
Als Gina das Gesellschaftszimmer betrat, blieb ihr kaum Zeit, Sebastian zu begrüßen, da klatschte Lady Troubridge auch schon in die Hände, und alle begaben sich zum Mittagessen. Die Suppe war bereits serviert, als auch Cam erschien. Sein Haar wirkte fast wieder ordentlich, doch auf seiner Schulter prangte ein weißer Kreidestreifen. Gina wandte hastig den Blick ab. Es machte ihr gar nichts aus, dass Cam sofort auf Esme zusteuerte wie eine Biene auf die Rose.
»Sebastian!«, sagte sie munter. »Ich muss für ein paar Stunden eine ruhige Ecke in der Bibliothek finden, um die Korrespondenz zu erledigen. Aber würdest du dich am Spätnachmittag zu mir gesellen?«
Er neigte den Kopf. »Es ist mir eine Ehre.« Er begleitete sie zu ihrem Zimmer und wollte sich eben mit einer Verbeugung verabschieden, als Gina die Zimmertür öffnete und mit offenem Mund erstarrte.
Der Raum war ein einziges Chaos. Kleider lagen auf dem Boden verstreut und Bücher in kunterbunten Haufen dazwischen. Die Schranktüren standen sperrangelweit offen, und die Schublade der Frisierkommode hing halb heraus. Die vielfarbigen Bänder, die Annie Gina ins Haar zu flechten pflegte, quollen heraus bis auf den Boden.
Ein Ausdruck schmerzlicher Empörung trat auf Sebastians Gesicht. »Es sieht ganz so aus, als wäre ein Einbruch verübt worden. War dein Schmuck hier?«
»Nein. Lady Troubridge bestand darauf, dass sämtlicher Schmuck in ihrem Safe hinterlegt werden sollte. Annie hat meinen jeden Abend hingebracht.«
»Eine weise Vorsichtsmaßnahme«, lobte er. »Dann möchte ich bezweifeln, dass sie viel gefunden haben.« Er schritt durchs Zimmer, wobei der Luftzug seiner Bewegungen den Haufen aus zartem Chiffon auf dem Boden aufblähte. Verärgert betrachtete Sebastian Ginas Frisierkommode. »Sie haben deine Kommode durchwühlt, weil sie gehofft haben, du hättest etwas liegen lassen. Ziemlich dreist, am helllichten Tag einzubrechen. Sie hätten doch leicht von einer Zofe ertappt werden können.« Er hob ein umgekipptes Glas auf und
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