Ein Universum aus Nichts
wir in einem solchen Modell die Gewähr, dass auf jeden Fall ein Universum entstünde, in dem die von uns entdeckten Gesetze gelten. Es ist kein Mechanismus und keine Wesenheit erforderlich, welche die Naturgesetze in der vorliegenden Form festlegt. Sie könnten fast beliebig aussehen. Da wir derzeit nicht über eine grundlegende Theorie verfügen, die den Landschaftscharakter eines Multiversums erklärt, können wir dazu nichts sagen. 49
In Wahrheit könnte es sein, dass es überhaupt keine grundlegende Theorie gibt. Obwohl ich Physiker wurde, weil ich hoffte, es gebe eine solche Theorie, und weil ich hoffte, eines Tages dazu beitragen zu können, sie zu entdecken, könnte diese Hoffnung – darüber habe ich mich schon beklagt – unangebracht sein. Trost finde ich in der Äußerung Richard Feynmans. Sie geht dem Zitat voraus, mit dem der Epilog dieses Buches eingeleitet wird. Weiter oben habe ich sie schon kurz zusammengefasst, aber hier möchte ich sie vollständig wiedergeben:
Ich werde manchmal gefragt: »Suchen Sie nach den ultimativen Gesetzen der Physik?« Nein, das mache ich nicht. Ich will nur mehr über die Welt herausfinden, und sollte sich herausstellen, dass es da draußen ein einfaches ultimatives Gesetz gibt, das alles erklärt, dann soll es so sein. Es wäre sehr schön, das zu entdecken. Sollte sich herausstellen, dass es einer Zwiebel mit Millionen Schichten gleicht, und sollten wir müde und es leid sein, nach Schichten zu schauen, dann ist das eben so … Mein wissenschaftliches Interesse geht dahin, einfach mehr über die Welt herauszufinden, und je mehr ich finde, desto besser. Ich finde gern etwas heraus.
Das Argument kann man in eine andere Richtung erweitern, was ebenfalls Implikationen für die zentralen Aussagen dieses Buches hat. In einem Multiversum der hier erörterten Art könnte es eine unendliche Zahl potenziell unendlich großer oder unendlich kleiner Regionen geben, in denen sich einfach »nichts« befindet, und es könnte Bereiche geben, in denen »etwas« vorhanden ist. In diesem Fall wird die Antwort auf die Frage, warum es statt nichts überhaupt etwas gibt, fast banal: Es gibt einfach deshalb etwas, weil wir, wenn es nichts gäbe, nicht hier leben würden!
Mir ist klar, welche Frustration in einer so trivialen Antwort auf eine Frage liegt, die über alle Zeiten hinweg so tiefgründig zu sein schien. Doch die Wissenschaft hat uns gelehrt, dass alles, ob tiefgründig oder trivial, sich dramatisch von dem unterscheiden kann, was es auf den ersten Blick zu sein scheint.
Das Universum ist weit seltsamer und weit vielfältiger – auf wundersame Weise merkwürdiger –, als wir mit unserer kärglichen menschlichen Vorstellungskraft antizipieren können. Die moderne Kosmologie hat uns dazu gebracht, Vorstellungen in Betracht zu ziehen, die ein Jahrhundert zuvor noch nicht einmal hätten formuliert werden können. Die großen Entdeckungen des 20. und 21. Jahrhunderts haben nicht nur die Welt verändert, in der wir tätig sind. Sie haben auch unser Verständnis der Welt (oder der Welten) revolutioniert, die direkt vor unseren Augen existieren oder existieren könnten – einer Wirklichkeit, die verborgen bleibt, bis wir kühn genug sind, nach ihr zu suchen.
Aus diesem Grund sind Philosophie und Theologie letztlich nicht fähig, aus sich heraus die wahrhaft grundlegenden Fragen anzugehen, die uns im Hinblick auf unsere Existenz verwirren. Solange wir nicht die Augen öffnen und die Natur die Richtung vorgeben lassen, sind wir gezwungen, in Kurzsichtigkeit zu verweilen.
Warum gibt es statt nichts überhaupt etwas? Im Grunde könnte diese Frage vielleicht nicht bedeutsamer oder tiefgründiger sein als die Frage, warum manche Blumen rot sind und andere blau. »Etwas« könnte immer aus nichts hervorgehen. Das könnte notwendig sein – unabhängig von der zugrunde liegenden Natur der Realität. Oder »etwas« ist möglicherweise nichts wirklich Besonderes und im Universum sehr weit verbreitet. Wie auch immer – über diese Frage zu grübeln, ist nicht wirklich nützlich. Ergiebiger ist vielmehr, an der spannenden Entdeckungsreise teilzunehmen, die vielleicht ganz speziell enthüllt, wie das Universum, in dem wir leben, entstanden ist und sich entwickelt und von welchen Prozessen unsere Existenz letztlich gesteuert wird. Dafür haben wir die Wissenschaft. Dieses Verständnis können wir vielleicht durch Reflexion ergänzen und das als Philosophie bezeichnen. Eine wahrhaft
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