Ein unmoralischer Handel
innen heraus zerstören. Sie konnte sie nicht in sich begraben, sie einfach nur für sich behalten, wenn da niemand war, dem sie diese Gefühle schenken konnte, über dem sie ihre Liebe regelrecht ausschütten durfte. Sie hatte zu lange darauf gewartet, dass die Knospe erblühte - jetzt würde sie entweder glanzvoll erblühen oder verkümmern und sterben. Es gab keinen anderen Weg. Und wenn sie starb, würde sie es ebenfalls tun, in jeder Hinsicht.
Besser, das Aufblühen erstarrte und die Knospe blühte niemals ganz auf.
Sie war sich sicher gewesen, dass er sie nicht liebte. Nicht eine Minute hatte sie geglaubt, das Schicksal könnte es so gut mit ihr meinen und dafür sorgen, dass er sich unsterblich in sie verliebte. Das Leben hatte es nie so gut mit ihr gemeint. Er sorgte sich um sie, das ja; das hatte er ja stets getan, auf seine zurückhaltende, vernünftige Art, wobei jede Emotion schön logisch aufgebaut war.
Deswegen ärgerte sie sich über ihn. Wie konnte er es wagen, so rational zu sein, während sie so emotional empfand? Genau dieser Unterschied hatte sie in ihrer Annahme bestärkt, dass die Liebe, die sie erfahren würde, gar nicht war, was er empfand. Im Moment begehrte er sie, wollte für sie sorgen, sie beschützen, sie heiraten - doch er liebte sie nicht. Sie wollte seinem Antrag gegenüber standhaft bleiben, bis sie ihn ganz sicher richtig verstand.
Bis heute Abend.
Es war nicht die extravagante Loge gewesen oder gar die Tatsache, dass er sich - wie sie zu gut wusste - nicht viel aus Musik machte. Der Augenblick, der ihre Sicherheit in ihren Grundfesten erschüttert hatte, war gekommen, als er ihr ins Ohr raunte: »Wie bei allen anderen Vergnügungen ist deine Freude mir Belohnung genug.«
Es war sein Tonfall gewesen, der sie getroffen hatte; sie war so vertraut mit jeder Nuance, jeder Variation seiner Stimme. Er hatte diese Worte geäußert, als spräche seine Seele, nicht nur sein Verstand, unmittelbar zu ihr. Die Worte hatten in ihr Widerhall gefunden, als hätte in diesem Moment Herz zu Herz gesprochen.
Hatte sie sich geirrt? Liebte er sie? Konnte er sie lieben?
Die Frage war: Wie ließe sich das feststellen?
Sie hob den Kopf und schaute zu den Sternen hinauf, zum Mond, der langsam im Westen unterging. Das Thema direkt anzusprechen kam nicht in Frage. Wenn sie nicht bereit war, ihm ihre Liebe offen einzugestehen, in Worte zu fassen, konnte sie dasselbe schwerlich von ihm erwarten. Sie fühlte sich viel zu verletzlich für ein solches Bekenntnis; sie gestand ihm genug Empfindsamkeit zu, ähnliche Gefühle zu hegen. Und von ihm zu erwarten, dass er vor ihr auf die Knie ging und ihr sein Herz ausschüttete …
Mit einem Lächeln streckte sie ihre Beine und erhob sich. Ernüchtert ging sie zu Bett, schlüpfte zwischen die Laken, ohne dass sich in ihrem Kopf ein kluger Plan herauskristallisierte, wie sie ihn zu einem Geständnis bewegen könnte. Aber sie war dennoch entschlossen, genau das zu tun. Wenn irgendeine Hoffnung bestand, dass das Schicksal ihr schließlich doch hold war und ihnen beiden die Liebe geschenkt hatte, dann konnte sie ohne dieses Wissen nicht leben.
Bleiern dämmerte der nächste Tag herauf. Der Himmel war grau, das Licht war grau, alles passte Ton in Ton zu ihrer Stimmung. Wie sie so mit ihrem Toast herumspielte, fiel ihr auf, dass die Gespräche um sie herum nur gedämpft geführt wurden. Sie kämpfte darum, die betäubenden Nachwirkungen des gestrigen Abends abzuschütteln. Der Triumph wegen ihres gelungenen Balls war durch düstere Vorahnungen getrübt worden. Sie sorgte sich, dass ihr mit nur unvollständigen Beweisen belegter Fall den Chancery Court nicht dazu bewegen könnte, die Central East Africa Gold Company wegen Betrugs zu verurteilen. Der besondere Zauber des Abends in der Oper mit seiner verführerischen Möglichkeit, dass auch Gabriel die wahre Natur seiner Gefühle noch verbergen könnte, war im kalten Morgenlicht verflogen.
Obwohl sie stundenlang wach gelegen hatte, war sie nicht in der Lage gewesen, auf einen Plan zu sinnen, der versprach, dass er seinen Schild senkte, jene Barriere, mit der er sein Herz schützte, seit sie ihn kannte. Obwohl sie sich so nahe standen, vermochte sie nicht in seine Seele zu blicken.
Aber sie war ja keinen Deut besser, war stets darauf bedacht gewesen, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Sie war ebenso wenig bereit, ihre Deckung fallen und ihn in ihre Seele blicken zu lassen. Leider schien ihr dies der einzige Erfolg
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