Ein unmoralischer Handel
Straßenlaternen noch schärfer hervortrat. »Ich verstehe.« Mit nun ebenfalls harten Zügen richtete Chillingworth seinen Blick wieder auf die Pferde.
»Alathea passiert schon nichts«, versicherte ihnen Charlie. »Kein Grund, sich Sorgen um sie zu machen. Sie kann es locker mit jedem Spitzbuben aufnehmen.«
Unerschütterliches Vertrauen schwang in seiner Stimme mit; Gabriel und Chillingworth wechselten einen raschen Blick, doch keiner von ihnen machte Anstalten, ihm zu erklären, dass Crowley mehr als ein »Spitzbube« war.
Er war ein Verbrecher.
»Der Hafen von London«, murmelte Chillingworth nachdenklich und griff nach seiner Peitsche. »Von dort können Schiffe direkt auslaufen.«
Aus dem Handgelenk ließ er die Peitsche knallen und trieb die Pferde an, die unter lautem Hufgeklapper The Strand hinunterhetzten.
20
D ie Kutsche, in der Alathea saß, ruckte und schwankte, als sie das Dock entlangrumpelte. An den Fensterrahmen geklammert spähte sie in eine Welt aus dunklen Schatten hinaus, in der bedrohlich aufragende Schiffskörper sich in den Wellen wiegten. Seile quietschten, Planken knarrten. Schwarzes Wasser klatschte stetig wie Herzschlag an die Pfeiler des Docks.
Alatheas Herz schlug ein wenig schneller als sonst vor Erwartung, in dieser Umgebung allerdings durch Misstrauen und nackte Angst gedämpft. Letztere versuchte sie als ein Produkt ihrer allzu lebendigen Fantasie abzuschütteln. Jahrhundertelang hatte man hier am Execution Dock verurteilte Piraten gehenkt; falls es spukte, würden die Geister doch wohl nicht gerade einen Ort heimsuchen, der so mit Gerichtsbarkeit erfüllt war? Es war sicher ein gutes Omen, dass der Kapitän sie in dem schäbigen Gewirr der Londoner Docks ausgerechnet hierher bestellt hatte. Schließlich war sie auch auf der Suche nach Gerechtigkeit.
Die Kutsche kam abrupt zum Stehen. Sie schaute hinaus, doch alles, was sie sehen konnte, war die tiefe Schwärze eines Schiffsrumpfes.
Der Schlag wurde aufgerissen. Ein von einem Seemannstuch bedeckter Kopf zeichnete sich vor dem dunklen Nachthimmel ab. »Wenn Sie mir Ihre Hand geben wollen, Ma’am, helfe ich Ihnen das Fallreep hinauf.«
Trotz ihrer unleugbaren Grobschlächtigkeit waren die Seeleute so höflich gewesen, wie sie nur konnten; Alathea überließ ihm ihre Hand und gestattete es dem Seemann, ihr aus der Kutsche zu helfen.
»Danke.« Sie reckte sich, kam sich in ihrem elfenbeinfarbenen Kleid, das im Mondlicht schimmerte, vor wie ein Leuchtturm im Dunkel der Nacht. Sie hatte keinen Umhang oder Schal mit auf den Ball genommen; der Abend in Mayfair war mild gewesen. Hier kräuselte eine leichte Brise das Wasser, fuhr ihr mit kühlen Fingern über die bloßen Schultern. Sie ignorierte ein plötzliches Frösteln und nahm den Arm, den der Seemann ihr reichte.
Das Dock unter ihren Füßen war beruhigend stabil, auf den breiten Planken lagen überall Seile, Rollen und Bretter. Sie war dankbar für den kräftigen Arm des Seemanns, als sie über verschiedenste Hindernisse hinwegstieg oder ihnen auswich. Er geleitete sie zu einem Fallreep. Sie umklammerte das Seil, als sie hinaufstiegen und den schwarzen Abgrund über dem kabbeligen Wasser zwischen dem Dock und dem Schiffsrumpf überquerten.
Als sie auf das Deck trat, bemerkte sie zu ihrer Erleichterung, dass es nicht so sehr schwankte und krängte, wie sie befürchtet hatte. Die Bewegung war so sanft, dass sie ohne Mühe das Gleichgewicht halten konnte. Beruhigt schaute sie sich um. Der Seemann ging ihr zu einer Luke voraus. Er bückte sich, um die Klappe anzuheben; Alathea wunderte sich. Als der Kapitän erzählt hatte, er transportiere Ware aus Afrika her, hatte sie sich ein größeres Schiff vorgestellt. Dieses hier war zwar größer als eine Yacht, aber …
Das Aufschlagen des Lukendeckels ließ sie herumfahren. Der Seemann deutete auf die Öffnung, durch die Licht von unten heraufschien.
»Wenn Sie einfach die Leiter runterklettern woll’n, Ma’am …« Er zog entschuldigend den Kopf ein.
Alathea lächelte. »Ich komme schon zurecht.« Mit einer Hand raffte sie ihre Röcke, mit der anderen hielt sie sich am Rand der Luke fest und tastete mit dem Fuß nach der ersten Sprosse. Vorsichtig setzte sie ihren Fuß, der in leichten Tanzschuhen steckte, auf, dann stieg sie die Holzsprossen hinunter. Ein Seil diente als Handlauf; nachdem sie etwas Halt gefunden hatte, war es nicht mehr so schwer. Unten öffnete sich vor ihr ein schmaler Korridor, der den Schiffsrumpf der
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