Ein unmoralisches Angebot
Miene. "Jamals Mutter ist im Ausland, Miss
Kingston. Sie reist gern."
"Aha."
Sollte das eine Erklärung sein? Amy schüttelte den Kopf,
schwor sich jedoch, sich aus der Sache herauszuhalten. Sie hatte
schon genug Probleme in Kazban.
Das
Schluchzen jedoch klang immer verzweifelter, und Amy ließ alle
guten Vorsätze fallen. Es war ihr einfach unmöglich,
tatenlos zuzusehen, wenn ein Kind litt.
"Und
wer kümmert sich um den Jungen, wenn seine Mutter nicht da ist?"
Sie hinkte zu Tür.
"Der
kleine Prinz hat eine Nanny." Aisha war erschrocken, als Amy die
Tür öffnete. "Miss Kingston, Sie sollten hier bleiben.
Jamal ist in besten Händen."
"Das
hört sich nicht so an. Wenn ihn niemand beruhigen kann oder
will, versuche ich es eben." Ohne sich weiter um die Dienerin zu
kümmern, ging sie in die Richtung, aus der das Weinen kam, und
fand ohne Schwierigkeiten Jamals Zimmer.
Es
war ein riesiger Raum mit einem breiten Bett, in dem verloren ein
kleiner Junge lag. Kein Wunder, wenn ein Kind in dieser Umgebung
Albträume bekommt, fuhr es Amy durch den Sinn. Ein solcher
Prachtsaal war als Kinderzimmer denkbar ungeeignet.
Während
Jamal weinte und um sich schlug, schrie ein junges Mädchen, das
ganz offensichtlich überfordert und mit seinen Nerven am Ende
war, kreischend auf ihn ein.
Amy
war entsetzt. "Seien Sie bitte sofort still! Schimpfen bringt
überhaupt nichts." Sie sprach gefasst und leise, um Jamal
nicht noch stärker zu verunsichern, und bedeutete dem Mädchen,
einige Schritte zurückzutreten.
"Aber
er ist so ungezogen!" protestierte die Nanny.
"Welches
Kind mit fünf Jahren ist das nicht?" erwiderte Amy kühl.
"Der Kleine steht schreckliche Ängste aus und braucht
Körperkontakt und Wärme." Sie streifte die Sandaletten
ab und setzte sich neben Jamal aufs Bett. Nachdem sie es sich bequem
gemacht hatte, zog sie ihn zu sich auf den Schoß, ohne auf sein
Sträuben, sein Treten und Schlagen zu reagieren. Sie nahm ihn in
die Arme und redete leise auf ihn ein, bis er schließlich
aufgab. Er seufzte noch einmal herzzerreißend, dann ließ
er den Kopf erschöpft an ihre Brust sinken.
Amy
atmete erleichtert auf. "Das muss ja ein ganz schrecklicher
Traum gewesen sein", meinte sie und strich ihm liebevoll das
Haar aus dem erhitzten, vom Weinen geröteten Gesicht. "Möchtest
du mir davon erzählen?"
"Tiger
…" Der Kleine hatte einen Schluckauf. "Ganz viele
Tiger …"
Amy
wiegte ihn sanft. "Und was wollten die Tiger?"
Jamal
kuschelte sich enger an sie. "Mich verfolgen und auffressen –
wie in der Geschichte." Er zitterte am ganzen Körper.
"In
welcher Geschichte?"
"Die
mir Yasmina vorgelesen hat." Ängstlich blickte er über
Amys Schulter zu seiner Nanny.
"Ich
verstehe." Ärgerlich blickte sie Yasmina an, die daraufhin
noch weiter zurückwich. "Hier im Zimmer sind keine Tiger,
das verspreche ich dir, aber die Ecken sind so dunkel, dass man es
fast meinen könnte. Du brauchst eine Lampe, damit du genau sehen
kannst, was um dein Bett herum passiert."
"Mama
sagt, nur Babys schlafen bei Licht", antwortete er kleinlaut.
"Ich
habe nachts auch oft eine Lampe an. Sehe ich wie ein Baby aus?"
Aus
seinen großen Augen blickte Jamal sie bewundernd an. "Nein,
du siehst wie eine Prinzessin aus."
"Magst
du Prinzessinnen?"
Er
nickte eifrig, und endlich lächelte er.
"Schön,
Jamal, dann mache ich dir jetzt einen Vorschlag. Yasmina wird uns
eine Lampe besorgen, und dann erzähle ich dir meine
Lieblingsgeschichte."
"Von
Tigern?" Ängstlich blickte er sie an.
"Bestimmt
nicht!" Angewidert schüttelte sie den Kopf. "Von einer
Prinzessin!"
Jamal
strahlte. "Hat sie goldenes Haar, so wie du?"
"Genau
wie ich."
"Ist
sie so schön wie du?"
"Viel,
viel schöner."
Jamal
schien das bezweifeln zu wollen, doch dann steckte er den Daumen in
den Mund und sah sie erwartungsvoll an.
Yasmina
hob trotzig den Kopf. "Seine Königliche Hoheit hat mir
verboten, Jamal allein zu lassen!"
"Dann
hat er Sie wahrscheinlich noch nie so hysterisch kreischen hören.
Gehen Sie, ich übernehme die Verantwortung dafür."
Wenn
Prinz Zakour sich einbildete, sie würde ein kleines Kind einer
Nanny überlassen, die Gruselgeschichten zum Einschlafen vorlas,
hatte er sich getäuscht. Und wenn er sie deswegen tatsächlich
in den Kerker stecken sollte, dann konnte sie es eben auch nicht
ändern!
"Also,
Yasmina, holen Sie uns bitte eine Lampe und ein Glas Milch, und dann
dürfen Sie Feierabend machen."
5.
Kapitel
Zakour
lehnte am Türrahmen, doch Amy
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