Ein unmoralisches Angebot
hakte sich bei Sarah ein und schritt langsam mit ihr zum Rand des Ballsaals.
„Sir Greville sieht heute Abend sehr gut aus“, bemerkte Sarah und warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. „Nicht einmal Lord Renshaw kann ihn in den Schatten stellen!“
„Oh, er sieht sehr gut aus“, sagte Amelia so achtlos, dass Sarah sie am liebsten geschüttelt hätte. „Und natürlich habe ich ihn auch sehr gern, aber …“
„Er ist jedoch für dich wie ein Lieblingsbruder“, erwiderte Sarah spitz.
Amelia warf ihr einen Blick unter halb gesenkten Lidern zu. „Oh, Sarah! Behandele ich Greville so schlecht? Das ist nicht meine Absicht!“
„Du weißt, dass du ihn nicht so schätzt, wie du es tun solltest! Er würde nie sein ganzes Geld beim Kartenspiel verlieren oder sich wie dein verstorbener Mann bis zur Bewusstlosigkeit betrinken.“
„Nein.“ Amelia seufzte gefühlvoll. „Alan war ein so aufregender Gesellschafter!“
Sarah seufzte. Ihrer Meinung nach war Alan ein Tunichtgut gewesen, der nichts für sich ins Feld hatte führen können. Sie würde nie begreifen, warum Amelia offensichtlich sein hinreißendes Aussehen mehr schätzte als Sir Grevilles Integrität. Man war jetzt fast bei Sir Greville angelangt, und sie sah, dass bei Amelias Anblick seine blauen Augen aufleuchteten. Es war wirklich schade.
„Miss Sheridan.“ Lord Renshaw ergriff ihre Hand, und die Berührung erzeugte in ihr das gleiche Gefühl wie schon bei der ersten Begegnung mit ihm. Sogleich war sie abgelenkt. „Sie sehen entzückend aus. Ich würde Sie zum Tanz auffordern, befürchte jedoch, dass die aufregende Musik des Menuetts zu viel für mich ist!“
Sarah setzte eine missbilligende Miene auf. „Ich weiß, Sie finden unsere Vergnügungen langweilig, Mylord, aber nach acht Uhr werden Ländler gespielt, falls das mehr nach Ihrem Geschmack ist!“
„Wie bitte? Keine Walzer?“
„Oh, für Bath sind sie zu unschicklich!“
„Wie schade! Vielleicht werde ich mich doch mit einem Ländler begnügen, falls Sie mir die Ehre geben. Möchten Sie in der Zwischenzeit etwas essen?“
„Danke.“ Sarah erlaubte dem Viscount, sie am Arm zu ergreifen. Er führte sie von den anderen Leuten fort und brachte sie in den Raum mit den Erfrischungen. In einem abgeschiedenen Winkel half er ihr beim Platznehmen und ging dann zum Buffet, wo mehrere junge Damen sofort zu ihm strömten. Eine von ihnen verwickelte ihn geschickt in ein Gespräch über die Vorzüge der angebotenen Speisen.
Rechts von Sarah beobachteten hinter einer Säule die Mütter der jungen Damen ihn mit stechenden Augen. Sie bemühte sich, ihnen nicht zuzuhören, hatte jedoch halb das Verlangen, die Unterhaltung zu belauschen. Sie war keine Zynikerin, wusste indes, dass die Damen Lord Renshaw trotz ihrer ätzenden Kritik, die sie unweigerlich an seinem Charakter äußern würden, liebend gern mit ihrer jeweiligen Tochter verheiratet hätten.
„Ein schockierender Ruf, Mrs. Bunton! Sehr schockierend!“
„Wirklich, Mrs. Clarke? Wie schockierend finden Sie ihn denn?“
„Oh, unglaublich schockierend! Natürlich war das, bevor Lord Renshaw in den Krieg zog. Vielleicht haben die Strapazen des Soldatenlebens ihm etwas Anstand eingebläut. Ich bezweifele es jedoch!“
„Immer ein Roué …“, begann Mrs. Bunton bedeutungsvoll.
„Natürlich könnte die Ehe mit einer guten Frau ihn bekehren!“
Die Damen schwiegen und dachten offenbar über die Vorzüge einer Ehe mit ihrer jeweiligen Tochter nach.
„Es heißt, Lady Melville sei ein ganzes Jahr seine Mätresse gewesen.“
„Oh ja! Das habe auch ich vernommen! Eine höchst leidenschaftliche Affäre, nach allem, was man so hört!“
„Und dann war da die Sache mit Lady Paget.“
„Schrecklich! Es heißt, ihr Mann hätte sich nie erholt! Natürlich ist die Familie reich“, sagte Mrs. Clarke, als sei das ein mildernder Umstand. „Gerüchten zufolge will Lord Renshaws Vater, dass sein Sohn sesshaft wird.“
„Emma könnte eine schlechtere Partie machen.“
„Eine sehr viel schlechtere! Oder Ihre liebe Agatha. Allerdings heißt es, Lord Renshaw bevorzuge Blondinen.“
Es war vielleicht ein glücklicher Zufall, dass der Viscount diesen Moment gewählt hatte, um sich aus der Schar der Debütantinnen zu lösen und zu Sarah zurückzukehren, der nach allem, was sie sich hatte anhören müssen, die Ohren glühten. Seinem aufmerksamen Blick entging nicht ihr stark gerötetes Gesicht, und als er den gefüllten Teller vor sie
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