Ein unmoralisches Angebot
hoch. „Ja, und?“
Er machte ein unglückliches Gesicht. „Leider hat er Miss Meredith nicht angetroffen. Man hat sie zuletzt vor zwei Tagen gesehen, als sie sich dem Haupteingang von Blanchland Court näherte. Seither fehlt jede Spur von ihr. Sie ist verschwunden.“
Auf der Rückfahrt nach London entsann sich Mr. Churchward, dass er vergessen hatte, Miss Sheridan von dem dritten Brief zu erzählen, der im Auftrag von Lord Sheridan an den Earl of Woodallan geschickt werden sollte. Seine Stimmung, die nach der Abreise aus Bath sehr niedergeschlagen gewesen war, besserte sich ein wenig. Lord Woodallan war Miss Sheridans Patenonkel und ein durch und durch vernünftiger Mensch. Mr. Churchward fand es bedauerlich, dass Lord Sheridan auf den Gedanken gekommen war, seine Schwester in eine derart peinliche Situation zu bringen. Zumindest hatte er jedoch so viel Geistesgegenwart bewiesen, sich an einen Mann von Lord Woodallans Format zu wenden, damit dieser Miss Sheridan unterstützte. Mr. Churchward beugte sich vor und überlegte, ob er den Kutscher anweisen solle, umzukehren und nach Bath zurückzufahren. Dann erblickte er jedoch den nach Maidenhead zeigenden Wegweiser und lehnte sich seufzend zurück. Er war müde und wollte nach Haus. Schließlich würde Miss Sheridan ohnehin bald erfahren, dass Lord Woodallan in die Sache verwickelt war.
Sarah hatte zwei sehr hübsche, für das Mieder von Amelias Ballrobe bestimmte Bänder erstanden und verließ soeben das Blumengeschäft mit einem Strauß Treibhausrosen. Es war ihr nicht gelungen, sosehr sie sich auch bemüht hatte, die Ereignisse der letzten Stunde zu vergessen. Sie hatte eine siebzehnjährige Nichte! Dabei war sie erst vierundzwanzig Jahre alt! Ihr um elf Jahre älterer Bruder hatte früh angefangen, sich mit Frauen abzugeben. Er hatte stets ein Auge für die hübschesten gehabt. Und wer war Olivias Mutter? Sarah blieb an der Straßenecke stehen. Olivias Mutter war sicher nicht die steife Gattin des Arztes. Mrs. Meredith war immer so auf Schicklichkeit bedacht.
Sarah wurde sich bewusst, dass sie Überlegungen anstellte, die sich nicht gehörten. Sie war überzeugt, dass Mr. Churchward, nachdem er ihr die unangenehme Neuigkeit mitgeteilt hatte, schockiert über ihren Mangel an Empfindsamkeit gewesen war. In Gedanken versunken, gelangte sie auf den Bürgersteig und prallte unversehens mit jemandem zusammen. Die Rosen wurden ihr aus der Hand gerissen und blieben verstreut auf dem Kopfsteinpflaster der Straße liegen. Sie verlor das Gleichgewicht und wäre gestürzt, hätte jemand ihr nicht geistesgegenwärtig den Arm um die Taille gelegt und sie gestützt.
„Ich bitte um Entschuldigung, Madam!“, sagte der Mann. „Das war arg ungeschickt von mir!“
Sarah fand, dass er unnötig langsam den Arm von ihrer Taille fortzog. Er drehte sich um und wollte die weit verstreuten Rosen aufheben. Es war jedoch zu spät. Eine in rascher Fahrt heranrollende Kutsche zermalmte sie unter den Rädern.
„Oh nein!“ Sarah hockte sich hin und versuchte, einige weniger ramponierte Blumen zu retten, sah jedoch, dass auch die Blüten dieser Rosen abgeknickt und die Stiele zerquetscht waren. Amelia würde wütend sein. Die roten Rosen hätten am nächsten Abend der Blickfang ihrer Tischdekoration sein sollen. Der Blumenhändler hatte sie ihr für diesen Anlass aufgehoben. Von ganzem Herzen wünschte sich Sarah, sie hätte sie beim Floristen gelassen und ihn beauftragt, sie mit den anderen Blumen anzuliefern. Sie hatte sich jedoch darauf gefreut, mit dem roten Farbfleck durch die winterliche Stadt zu laufen. Traurig betrachtete sie die ruinierten Rosen.
„Bitte, kommen Sie zur Vernunft, Madam! Sie werden ebenfalls überfahren, wenn Sie auf der Straße hocken bleiben!“
Dieses Mal hatte die Stimme des Herrn beträchtlich unhöflicher geklungen. Er nahm Sarah fest am Ellbogen und zog sie hoch.
Sie wich einige Schritte von ihm ab und starrte ihn wütend an. „Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis, Sir! Wie schade, dass Sie nicht früher an die Gefahr gedacht haben, ehe meine Rosen dieses Schicksal erleiden mussten!“
Der Gentleman erwiderte nichts, sondern zog nur etwas fragend eine Augenbraue hoch. Sein nachdenklicher Blick ruhte sehr direkt auf Sarah. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, hielt die Augen einen Moment lang auf ihr gerötetes Gesicht gerichtet und ließ dann den Blick auf ihrer durch die praktische Pelisse verhüllte Figur verweilen. Verärgert reckte sie das Kinn.
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