Ein unmoralisches Angebot
„insbesondere da mein Bruder damals kaum älter als achtzehn Jahre gewesen sein kann.“
„Junge Männer stoßen sich die Hörner ab.“ Mr. Churchward machte eine nichtssagende Geste. Plötzlich fiel ihm auf, wie unschicklich es war, über eine solche Angelegenheit mit einer jungen, ledigen Dame zu reden. Er räusperte sich betreten und schob die Brille höher auf die Nase. Er bedauerte, dass es notwendig war, Miss Sheridan restlos zu informieren, doch daran ging kein Weg vorbei. Das Beste war, sich so geschäftlich wie möglich zu geben.
„Ich glaube, Madam, das Kind wurde bei einer Familie untergebracht, die in einem Dorf in der Nähe von Blanchland wohnt. Der verstorbene Lord Sheridan hat zu seinen Lebzeiten eine Jahresapanage an einen Dr. John Meredith gezahlt und ihm in seinem Testament einen Legat ausgesetzt. Dr. Meredith ist im letzten Jahr gestorben. Seine Witwe und Tochter lebten damals noch in der Nähe von Blanchland.“
„Ich erinnere mich an Dr. Meredith“, warf Sarah nachdenklich ein. „Er war sehr freundlich und hat mich behandelt, als ich die Masern hatte. Ich glaube, er hatte eine Tochter, ein hübsches Kind, das sieben oder acht Jahre jünger ist als ich. Es wurde in ein Mädchenpensionat gegeben. Ich entsinne mich, dass alle Leute sagten, Dr. Meredith müsse noch andere Einkünfte haben.“ Sie hielt inne und lächelte schwach, weil das die Finanzen des Doktors umgebende Geheimnis jetzt gelöst war.
Das Hausmädchen brachte Erfrischungen, eine Kanne Kaffee für Mr. Churchward und starken Tee für Miss Sheridan. Dadurch wurde das Gespräch unterbrochen, sodass der Anwalt Gelegenheit hatte, das Thema zu wechseln.
„Ich entschuldige mich dafür, Miss Sheridan, dass ich Sie mit einer derartigen Neuigkeit überrascht habe …“
„Oh, Sie müssen sich nicht entschuldigen, Mr. Churchward.“ Sarah lächelte herzlich. „Das alles ist doch nicht Ihre Schuld. Franks Brief habe ich entnommen, dass Sie sich mit mir in Verbindung setzen sollten, falls Miss Meredith Hilfe benötigte.
Wie kann ich ihr behilflich sein?“
Mr. Churchward machte eine unglücklich wirkende Miene. Er griff wieder nach dem Portefeuille und holte einen zweiten Brief heraus, der kleiner war als der erste. Das Papier war auch von schlechterer Qualität und die darauf erkennbare Handschrift kindlich gerundet. „Dieses Schreiben habe ich vor drei Tagen erhalten, Miss Sheridan. Bitte.“
Wieder las Sarah den Text laut vor: „Sehr geehrter Herr, ich schreibe Ihnen, weil ich dringend auf Hilfe angewiesen bin und nicht weiß, an wen ich mich sonst wenden könnte. Von meiner Mutter habe ich gehört, dass der verstorbene Lord Sheridan ihr Ihre Anschrift gab und sie anwies, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, falls sie oder ich dringend auf Hilfe angewiesen sind. Bitte, kommen Sie zu mir nach Blanchland, damit ich Ihnen meine Schwierigkeiten schildern und Ihren Rat einholen kann. Ihre ergebene Olivia Meredith.“
Nach dem Verlesen des Briefes trat Stille ein. Mr. Churchward war sich bewusst, dass er eigentlich hätte erleichtert sein können, da uneheliche Kinder betreffende Maßnahmen und Schwierigkeiten, die durch diese Kinder entstanden, in den Zuständigkeitsbereich des Kirchenvorstehers fielen. Nie zuvor hatte er sich jedoch in einer Situation befunden, die dadurch entstanden war, dass ein auf Abwege geratener Bruder die jüngere Schwester um Hilfe für sein uneheliches Kind gebeten hatte. Lord Sheridan war ein liebenswürdiger Mensch gewesen, aber von Natur aus gedankenlos und unbekümmert. Er hatte seine Schwester eindeutig in eine sehr peinliche Lage gebracht.
„Miss Meredith erwähnt nicht, welcher Art ihre Schwierigkeiten sind“, fuhr Sarah bedächtig fort. „Und zu der Zeit, als mein Bruder diesen Brief schrieb, konnte er nicht wissen, welche Art Hilfe Miss Meredith benötigen würde.“
„Ich bin sicher, er befand sich in einer für ihn sehr schwierigen Lage, Madam.“ Mr. Churchward machte immer noch eine missbilligende Miene. „Er wollte für das Kind das Richtige tun, ohne jedoch zu wissen, was das sein würde.“
Sarah rümpfte die Nase. „Ich befürchte, ich kann nicht mehr folgen, Mr. Churchward. Können wir die Sache noch einmal von vorn besprechen? Ich lasse mehr Kaffee und Tee kommen.“
Wenig später wurden die Kanne und Sarahs Tasse neu gefüllt, dann zog das Hausmädchen sich wieder zurück.
„So!“, sagte Sarah so sachlich wie möglich. „Rekapitulieren wir alles. Mein verstorbener
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