Ein unsittliches Angebot (German Edition)
zählten nicht. »Aber das kann ich wohl kaum beurteilen, ich habe sie ja gerade erst kennengelernt. Sie scheint mir insgesamt eine recht ernste Person zu sein.«
»In der Tat.« Granville hielt verschiedene Federhalter gegen das Licht, um die Federn zu prüfen. »Eine vernünftige Frau mit ernsthaften Interessen. Nicht so oberflächlich wie so manch andere Frau.«
»Den Eindruck hatte ich auch.« Er blätterte noch eine Seite um, und das leise Rascheln des Papiers setzte sich wie ein Schlusspunkt an seine Gedanken, obwohl er nichts vom Text gelesen hatte.
»Sie hatte also traurige Dinge zu besprechen?« Nachdem er sich für eine Feder entschieden hatte, legte Granville die anderen Halter beiseite und schraubte ein Tintenfass auf.
»Ja, sie hatte Verschiedenes zu sagen.« War das typisch? Im Hinblick auf die Dauer? »Über Ländereien, Grundstücksverwaltung und so weiter.«
»Hervorragend.« Granville tauchte die Feder ein und begann, die Bleistiftlinien nachzuziehen. »Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ich glaube, es ist genau diese Art von Bekanntschaft, die Sir Frederick im Sinn hatte, als er Sie hierher nach Sussex geschickt hat.«
»Meinen Sie?« Theo beugte sich tiefer über die Nützlichkeit .
»Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.« Die Feder kratzte leise über das Papier, eine gedämpfte Untermalung zu Mr Granvilles Worten. »Er hat gehofft, dass Sie dem Einfluss respektabler Leute ausgesetzt sein würden. Mrs Russell ist der Inbegriff der Respektabilität. Haben Sie zufälligerweise auch über Katendächer gesprochen?«
»Nein, ich kann mich nicht entsinnen, dass wir dieses Thema angeschnitten hätten.« Ich darf doch annehmen, dass Sie keine unsittliche Krankheit haben?
»Schade. In Seton Park sind diesen Sommer alle Katen neu gedeckt worden. Vielleicht wäre es günstig, sie danach zu fragen.«
»Mhm. Vielleicht beim nächsten Mal.« Eher würde die Hölle einfrieren. Es würde hoffentlich nie der Tag kommen, an dem er nichts Interessanteres mit einer Frau zu besprechen hatte als die Erneuerung von Katendächern.
Heute würde es besser laufen mit Mrs Russell. Schlechter konnte es ja auch wohl kaum laufen. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass so gut wie alle der gestrigen Schwierigkeiten ihrer Nervosität zuzuschreiben waren. Vermutlich hatte sie noch nie mit jemand anderem geschlafen als ihrem Trottel von Ehemann, ganz sicher nicht mit einem Fremden, und der Kampf um sein Einverständnis musste auch recht nervenaufreibend gewesen sein. Kein Wunder, dass sie sich danach nicht hatte entspannen können. Heute würde er eine bekannte Größe sein, und sie war sich seiner Kooperation sicher. Das würde der entscheidende Unterschied sein.
»Ihr hat der Besuch bestimmt auch gutgetan.« Granville hielt im Zeichnen inne und konsultierte ein Blatt Papier, auf dem er sich offenbar Notizen gemacht hatte. »Ein Jammer, wenn Sie mich fragen, dass Witwen so abgeschieden leben, gerade zu einer Zeit, in der sie vielleicht dringend Gesellschaft gebrauchen könnten. Niemals ausgehen, nur auf Besuch warten. Und ich glaube nicht, dass sie einen großen Bekanntenkreis hat.«
»Dann werde ich mein Bestes tun, sie nicht zu vernachlässigen. Soweit es der Anstand erlaubt, selbstverständlich.« Er fuhr sich mit der Hand über den Mund, um ein unvorsichtiges Grinsen zu verbergen. Sie hatten sich gegen ihn verschworen, die tugendhaften Menschen dieser Welt. Offenbar wollten sie ihn nicht in ihren Reihen haben. Nun, was sollte er sich sträuben, wenn ihm eine solche Macht entgegenstand? Mit der respektablen Mrs Russell, die ihn bestach, damit er zu ihr ins Bett stieg, auf der einen Seite und dem ehrenwerten Granville, der ihm praktisch befahl, zu ihr zurückzukehren, auf der anderen, konnte er nichts tun, als sich zu fügen.
Diesmal sah sie ihm vom Bett aus dabei zu, wie er sich auszog. Seine Kleidung sah teuer aus – vermutlich ein Teil des verschwenderischen Lebenswandels, den sein Vater so sehr missbilligte –, doch zumindest war sie geschmackvoll. Er legte einen makellos auf seinen Leib geschneiderten Frack von salbeifarbener Wolle ab, dann eine Weste, deren kräftigeres Grün, wie man zugeben musste, hervorragend zu seinem hellen Haar und seinen dunkelblauen Augen passte. »Ist das irisches Leinen?«, fragte sie, als er bei seinem Hemd angekommen war, nur um irgendetwas zu sagen. »Ja, das ist es«, antwortete er, bevor er es sich langsam über den Kopf zog.
Ganz
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