Ein unsittliches Angebot (German Edition)
im gleichen Schwung einige Kleidungsstücke vom Boden auf. »Damit kenne ich mich bestens aus.«
Solcherlei Bemerkungen verdienten keine Antwort. Sie lag auf ihrem Kissen und sah schweigend zu, wie er in seine Unterwäsche und seine Hosen schlüpfte und sich das Hemd aus irischem Leinen wieder über den Kopf zog. Erst als er sich hinsetzte, um sich die Stiefel anzuziehen, bot sich ein Thema an. »Besitzen Sie Stulpenstiefel?«, fragte sie. Die sind hier auf dem Land besser geeignet als Ihre kurzen Reitstiefel.«
»Und mehr nach Ihrem Geschmack?« Er bedachte sie mit einer durchtriebenen Grimasse. »Zufällig habe ich mir ein Paar machen lassen, und ich habe nichts dagegen, sie das nächste Mal zu tragen, wenn Sie mich gern darin sehen möchten.«
Wie viel Unsinn musste man sich eigentlich anhören? »Es war eine praktische Überlegung. Falls Sie zum Beispiel über Weiden und dergleichen gehen müssen. Ich habe keinerlei Vorlieben, was Ihre Garderobe betrifft.«
»Dann habe ich ganz offensichtlich noch nicht das Richtige getragen.« Er streckte die gestiefelten Beine vor sich aus, wie um sie ihr zu präsentieren. »Wo finde ich also dieses Zimmer, in dem unsere Verabredungen künftig stattfinden sollen?«
»Sie könnten verbreiten, dass Sie einen Jungen bekommen hätten, und sie in Jungenkleider stecken. Ich habe von solchen Fällen gehört.« Das Mädchen war nicht zu schockieren, Gott sei Dank. Nicht ein einziges Mal hatte Sheridan das Unterfangen infrage gestellt oder auch nur mit der Wimper gezuckt. Ihr Einfallsreichtum war von unschätzbarem Wert, wenn es zum Beispiel darum ging, wie Mr Mirkwood in Zukunft ungesehen kommen und gehen konnte, zu einem Schlafzimmer im unbewohnten Ostflügel des Hauses.
»Aber die Wahrheit würde früher oder später ans Licht kommen, oder?« Martha runzelte die Stirn in Richtung ihres Spiegelbilds. Ihr Besucher war befriedigt gegangen, und sie saß an ihrem Frisiertisch und ließ sich die Haare wieder hochstecken. »Ein Mädchen könnte sich nicht sein Leben lang verstellen. Früher oder später würde Mr James Russell davon erfahren, und ich würde den Besitz verlieren und in ernsthaften Schwierigkeiten stecken.«
Das Mädchen schürzte die Lippen. »Es gibt auch Tauschhandel, hab’ ich gehört.«
»Tauschhandel?« Martha glaubte, dass sie darüber lieber nichts wissen wollte.
»Wo dringend ein Erbe benötigt wird.« Ihre Blicke trafen sich im Spiegel. »Man sucht sich einen kleinen Jungen im richtigen Alter, und wenn das eigene Kind geboren ist und ein Mädchen sein sollte, tauscht man sie aus.«
»Ich könnte mein Kind niemals gegen ein anderes eintauschen.« Unwillkürlich legte Martha sich die Hand aufs Herz. »Ich kann nicht glauben, dass irgendjemand das könnte.«
»Für Geld tun die Leute alles Mögliche.« Sheridan steckte den ersten Zopf fest, den sie geflochten hatte. »Manche Leute, besonders wenn sie zu viele Kinder haben, wären vielleicht froh darüber, eins für eine kleine Summe in ein feines Haus zu geben. Wenn es ein Mädchen wird, könnten Sie so an einen Jungen herankommen, Ihre Tochter auch behalten und sagen, Sie hätten Zwillinge bekommen. Auch sonst könnten Sie so an einen Jungen herankommen.« Das Mädchen sprach leise, den Blick abgewandt.
»Wenn ich kein eigenes Kind empfange, meinst du.« Dann hätte sie sich umsonst weggeworfen.
»Ich hab’ davon gehört: Eine Dame stopft sich das Kleid aus, so als ob sie zunehmen würde, und dann –«
»Ja, ich verstehe schon, wie es funktioniert. Ich werde diese Möglichkeit in Betracht ziehen müssen.« Sie ergriff einen Handspiegel und drehte ihn immer wieder um. Mochte das Schicksal sie davor bewahren. Irgendeiner verzweifelten Frau das Kind abzukaufen! Das wäre vielleicht mehr, als sie ertragen konnte.
Und doch wäre es womöglich der klügere Plan gewesen. Frauen konnten daran sterben. Die eigene Mutter war das naheliegende Beispiel. Frauen, die nicht kräftig genug waren, legten sich ins Kindbett und standen nie wieder auf.
Solche Gedanken führten zu nichts. »Konntest du die Zimmer im Ostflügel lüften?«, fragte sie, und danach sprachen sie von alltäglichen Dingen.
Als Haare und Kleid wieder präsentabel waren, machte sie einen Spaziergang. Die Abendsonne schien gleichmäßig und warm, und ihre Füße trugen sie, wie so oft, zu der niedrigen unbewohnten Kate, in der Mr Atkins seine Schule eröffnen wollte. Sie fand die Tür offen und den Pfarrer im Inneren. Er stand am Ende des
Weitere Kostenlose Bücher