Ein unvergessliches Abenteuer
„Und Gymnastik, Klavier, Fußball. Alles ist genau durchgeplant. Manche Kurse finden nachmittags, andere abends statt. Sie könnte hingehen und dafür früher schlafen.“
Rachel versuchte, taktvoll zu sein. „Ich finde es wirklich gut, wenn Eltern ihre Kinder fördern. Leider tun das nicht alle. Aber manchmal werden Kinder überfordert. Anastasia braucht Zeit, in der sie einfach nur ein kleines Mädchen sein und spielen und träumen kann.“
„Wir muten ihr zu viel zu, ja? Martin und ich haben beide Geschwister, die ihre Begabungen nicht ausschöpfen. Das soll Anastasia nicht passieren. Wir wollen, dass sie ihre Chancen nutzt, aber sie soll auch verstehen, dass sie sich anstrengen muss.“
„Wenn sie sich überfordert, wird sie sich bald total verweigern“, sagte Rachel sanft. „Anastasia ist ein besonderes Kind, weil sie so ist, wie sie ist, nicht weil sie so viel tut. Sie wird nicht mehr lange ein kleines Mädchen sein, Helen. Es wäre doch schrecklich, wenn ihr zwei diese ganz besonderen Jahre verpasst, weil sie so selten zu Hause ist.“
„Du hast recht“, sagte Helen nachdenklich. „Ich werde mit Martin reden. Vielleicht können wir auf ein paar Kurse verzichten.“
„Aber nicht auf alle. Sie braucht die Herausforderung. Setzt euch zusammen und entscheidet, welche Aktivitäten wichtig sind, und welche sie gern unternimmt.“
„Das werden wir. Danke.“
„Gern geschehen. Ich bin froh, dass Anastasia in meiner Klasse ist.“
Helen lächelte. „Ich auch.“
Sie ging hinaus, und Rachel machte sich einige Notizen in Anastasias Schulakte. Als Carter hereinkam, hob sie den Kopf.
„Beeindruckend“, sagte er. „Ich bin hier, um dir zu erzählen, dass der Stand langsam Gestalt annimmt, aber ich wollte nicht stören. Das hast du eben wirklich gut gemacht.“
Sein Lob tat ihr gut. „Danke. Ich verbringe jeden Tag mehrere Stunden mit den Kindern. Weil ich nicht ihre Mutter bin, sehe ich meistens die guten und schlechten Seiten. Leider sind Eltern oft einseitig.“
„Ich glaube, Helen hat die Botschaft verstanden.“
Rachel klappte die Akte zu und stand auf. „Hoffentlich. Ich finde es schlimm, wenn Eltern ihre Kinder unbedingt zum nächsten UN-Generalsekretär machen wollen. Aber es ist schwierig, das richtige Maß zu finden.“
Carter schob ihr eine Strähne hinters Ohr. „Meine Mutter hat es gefunden. Jeder von uns war fest überzeugt, dass er ihr Liebling ist. Sie hat uns immer das Gefühl gegeben, alles schaffen zu können.“
„So waren meine Eltern auch. Ich wollte zugleich Astronautin und Ballerina werden, und keiner von ihnen hat je versucht, es mir auszureden. Natürlich war ich erst zwölf, und in dem Alter darf und sollte man noch träumen. Einmal haben sie …“
Unerwartet kamen ihr die Tränen, und Rachel war so überrascht, dass sie mitten im Satz verstummte.
„Was ist?“, fragte Carter.
„Ich weiß es nicht.“ Sie blinzelte mehrmals, doch die Tränen versiegten nicht. „Ich wollte etwas über meine Eltern erzählen, aber ich weiß, wenn ich das tue, fange ich an zu weinen.“
„Das stört mich nicht.“
Sie schluchzte und lächelte gleichzeitig. „Danke, dass du das sagst. Ich verstehe es nur nicht. Ich weine nicht sehr oft, erst recht nicht wegen meiner Familie. Es ist vierzehn Jahre her. Natürlich bin ich traurig, dass sie nicht mehr da ist, aber ich habe es verarbeitet.“
„Hey, so etwas passiert eben.“
Er nahm sie in die Arme, und sie ließ es geschehen, denn sie brauchte Trost und Geborgenheit.
„Es ist verrückt“, murmelte sie an seiner Schulter, während ihr die Tränen über die Wangen liefen. „Ich habe gar keinen Grund zu weinen. Es ist sonst nicht meine Art.“
„Du bekommst ein Baby.“
Sie starrte ihn an. „Ich glaube kaum, dass ich deswegen die Fassung verliere, sobald ich über meine Eltern spreche. Ich weiß, ich stehe unter Stress, aber das kann doch nicht der Grund sein.“
Sie wischte sich das Gesicht ab und versuchte, an etwas Schönes zu denken. Vielleicht sollte sie sich ein Kätzchen holen, um ihm zuzusehen, wenn es mit einem Wollknäuel spielte. Aber allein bei der Vorstellung flossen frische Tränen.
„Es sind die Hormone“, sagte Carter leise. „Glaub mir. Ich habe drei Schwestern, die alle mindestens zweimal schwanger waren. Du willst vielleicht nicht daran denken, dass du ein Kind bekommst, aber dein Körper produziert schon alle möglichen Hormone, die er dafür braucht. Auf die reagierst du.“
War das
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