Ein unverschaemt charmanter Getleman
betretene Miene auf. In Wahrheit konnte Longledge Hill ihm überhaupt keine Angst einjagen, wenngleich sie sich hier am steilsten und unzugänglichsten Teil des Hanges befanden. Er war im Peak aufgewachsen und fürchtete sich nicht vor den Bergen, weder im Sommer noch im Winter, weder bei Tag noch bei Nacht. Natürlich würde es einen Unfall geben, dachte er bei sich. Aber er war es nicht, der dabei zerschmettert sein Ende finden würde.
Während sie sich langsam ihren Weg an das andere Ende von Longledge Hill bahnten, gen Lord Gordmors Kohlegruben, erzählte Mirabel Alistair von der unerfreulichen Erfahrung, die sie mit Caleb Finch gemacht hatte.
Die Richtung, in die sie sich unterdessen bewegten, beruhte einzig auf Mutmaßungen, die wiederum größtenteils auf Gerüchten beruhten - welche in dieser ansonsten kargen und unersprießlichen Gegend in reichlichem Überfluss gediehen. Eine der Frauen, die den Proviant von Oldridge Hall herbeigebracht hatte, meinte, einen großen, garstig aussehenden Gesellen gesehen zu haben, der wie Caleb Finch aussah und früh am Mittwochmorgen in der Nähe des Milchschuppens ihres Nachbarn herumgelungert habe.
Es gab noch mehr Gerüchte: Finch sei am Sonntag in Ledgemore in der Kirche gesichtet worden; und jemand, der ganz so aussah wie er, vor einer Woche oder noch länger her im Postgasthof von Stoney Middleton.
Weil Alistair Gordys Gesandter war, erfuhr er zudem von einer Geschichte, die scheinbar nichts mit alledem zu tun hatte: Der Minenvorarbeiter Seiner Lordschaft war plötzlich entlassen worden, weil er das Missfallen von Lord Gordmors Verwalter geweckt hatte. Der Vorarbeiter drohte an, vor Gericht zu ziehen, die Grubenarbeiter waren sehr unzufrieden, und der allgemeine Unmut hatte sich von einer Kate zur nächsten, von der Dorfschenke bis zum Postgasthof ausgebreitet und diese Woche schließlich auch Longledge erreicht.
Alistair, der die Kohlegruben vor kaum einmal zwei Wochen selbst besucht und dabei alles in bester Ordnung vorgefunden hatte, begann, Schlüsse zu ziehen und eine Theorie zu entwickeln. Er sagte seinen Informanten nichts von seinen argwöhnenden Vermutungen, versprach aber, sich der Sache anzunehmen.
Das alles hatte sich zugetragen, während Mirabel vorhin geschlafen hatte.
Nun wusste sie, dass Caleb Finch und Lord Gordmors Verwalter ein und dieselbe Person waren - jener Mann, der aller Anschein nach seit elf Jahren einen Groll gegen die Oldridges gehegt hatte.
Da keine Kutsche die schmalen, zerklüfteten Pfade zu bewältigen vermochte, musste Oldridge im Kohlenkarren reisen. Während Jackson draußen damit beschäftigt war, Decken in den Wagen zu legen, damit der Allerwerteste des großen Gelehrten auch ja weich saß und keinen Schaden nehmen würde, schüttete Caleb eine ansehnliche Menge Laudanum in die Weinflasche und schob sie dann dem Alten unter die Nase. „Trinken Sie, so viel Sie wollen“, sagte er. „Das wird die Reise angenehmer machen.“
Oldridge betrachtete die Flasche und runzelte die Stirn. „Ich will nur hoffen, dass die Köchin nicht beleidigt ist und kündigt“, meinte er. „Wie viele Abendessen habe ich schon versäumt? Ich habe gar nicht mitgezählt. Doch mit Künstlern muss man bedachtsam umgehen. Ihre Gefühle sind so leicht zu verletzen.“ Er blickte zu Caleb auf. „Könnte vielleicht jemand der Köchin eine Nachricht zukommen lassen? Nur um ihr mitzuteilen, dass ich aufgehalten wurde und derzeit andernorts unabkömmlich bin.“
„Ganz wie Sie wünschen, Sir“, erwiderte Caleb bereitwillig. „Eine ausgezeichnete Idee. Eine geschäftliche Verabredung, was? Plötzlich abberufen worden. Geschäfte oben im Norden.“
„Ich habe mich nie viel um die Geschäfte gekümmert“, bekannte der alte Mann traurig. „Das war sehr achtlos von mir. Sie müssen wissen, dass der große Dr. Johnson unter Melancholie litt. In der Tat ein wunderliches Leiden. Und wie seltsam es doch scheint, dass man darüber nachliest, um einen jungen Mann zu verstehen, und es dabei an sich selbst erkennt.“
„Das denk’ ich mir wohl, dass das wunderlich ist“, meinte Caleb, für den das unsinniges Geschwätz war. „Trinken Sie doch noch ein Glas, Sir. Letzte Gelegenheit, bevor wir in die Kutsche steigen. Und eine verdammt ungemütliche Fahrt haben wir da vor uns. Aber damit werden Sie sich wohlfühlen.“
Es war schon weit nach Mitternacht, als Alistair und Mirabel die Kohlegrube erreichten. Sie hatten ihre Pferde den alten Lastenpfad so
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