Ein unverschaemt charmanter Getleman
entgegnete sie. „Ihre Familie ist eine der ältesten der Grafschaft. Ihr Vater steht im Ruf, im Oberhaus den Ton anzugeben. Ihre älteren Brüder haben sich verschiedener verdienstvoller Belange angenommen. In allen Londoner Zeitungen fanden sich ausführlichste Schilderungen Ihrer Erfolge auf dem Schlachtfeld, und auch die Lokalblätter haben darauf ein wahres Meer an Tinte verwandt. Selbst wenn mir Ihr Name in gedruckter Form trotzdem entgangen sein sollte, so hätte ich doch nicht unwissend bleiben können, denn eine Zeit lang fanden Sie in jedem Brief Erwähnung, den ich von Freunden und Verwandten aus London erhielt.“
Alistair zuckte unmerklich zusammen. Er war nicht einmal zwei Tage an den Kampfhandlungen beteiligt gewesen. Angesichts seiner Unerfahrenheit war es ohnehin ein Wunder, dass er sich nicht die eigene Nase abgeschossen hatte. Warum die Zeitungen ausgerechnet ihn zum Helden erkoren hatten, war ihm ein Rätsel - und noch dazu eines, das ihm größten Verdruss bereitete.
Sein Bein machte sich mit einigen Krämpfen bemerkbar. „Das ist ein alter Hut“, beschied er in einem kühlen Ton, mit dem er es stets vermochte, jedem Thema ein sofortiges Ende zu bereiten.
„Hier nicht“, erwiderte Miss Oldridge. „Sie sollten sich darauf gefasst machen, die Bewunderung der Landbevölkerung über sich ergehen zu lassen.“
Seine Kühle schien sie völlig unbeeindruckt zu lassen. Ihr fröhlicher Tonfall hingegen ließ ihn aufhorchen.
Er wusste sehr wohl - besser als die meisten Männer, um ganz genau zu sein -, dass die Worte einer Frau voll versteckter Bedeutungen sein konnten, die keine erkennbare Ähnlichkeit mit dem haben mussten, was sie laut sagte. Er wusste zwar nicht immer genau, was eine Frau meinte, aber er merkte zumeist, wann sie mehr meinte, als sie sagte, und dieses „mehr“ verhieß in der Regel nichts Gutes.
Er spürte förmlich, wie das Unheil ihm auflauerte, wie es sich jetzt jeden Augenblick aus der Dunkelheit ihrer Gedanken auf ihn stürzen würde, aber ihm wollte nicht in den Sinn kommen, worum es sich dabei handeln könnte.
Ein Unheil, das ihm hingegen kaum entgehen konnte, war ihre sogenannte Frisur, die sich nun auch noch aufzulösen begann. Einige kupferrote Locken hatten sich aus dem Knoten gelöst und hingen unordentlich herab. Oben auf dem Kopf standen einzelne Locken störrisch hervor. Er sah, wie sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich und hinter dem Ohr feststeckte.
Es war eine Geste, wie Frauen sie wohl nach dem Auskleiden machten, nachdem sie ihr Haar gelöst hatten ... oder morgens, wenn sie sich von ihrem Kissen erhoben ... oder nach der Liebe.
Bei Tisch schickte sich diese Geste nicht. Sie hätte ordentlich frisiert und dem Anlass entsprechend gekleidet zum Abendessen erscheinen sollen, dann säße sie jetzt nicht so vor ihm, derart in Auflösung begriffen, als ob sie soeben verführt worden wäre.
Alistair ermahnte sich, dem keine weitere Beachtung zu schenken und sich stattdessen für das drohende Unheil zu wappnen. Er versuchte, seine Aufmerksamkeit dem Essen zu widmen, aber er verspürte keinen Appetit mehr. Er war sich ihrer Anwesenheit zu sehr bewusst - ihre berückende Geste, die wirren Locken - und spürte die Spannung zwischen ihnen.
Selbst wenn er seinen Blick abwandte und seine Gedanken anderem zuwandte, war er sich doch immer noch ihrer Nähe bewusst.
Sein Gastgeber bemerkte ganz offensichtlich nichts von alledem und aß unbeirrt, mit einer Miene gedankenverlorener Zufriedenheit weiter. Es gereichte dem Botaniker sicher zu seinem Vorteil, dass er so viel wanderte und kletterte, denn er verzehrte, was zwei ausgewachsene Männer hätte sättigen können.
Im weiteren Verlauf des Abendessens erörterte Mr. Oldridge Experimente mit Tulpen. Schließlich verabschiedete sich Miss Oldridge, überließ die Männer ihrem Portwein und erlaubte Alistair, endlich aus seinen Gedanken zu verbannen, was ihm nicht mehr vor Augen war.
Er wandte seine ganze Aufmerksamkeit dem Geschäftlichen zu und begann sein Plädoyer für den Kanal.
Während er sprach, schien sein Gastgeber in die Betrachtung des Kronleuchters versunken, musste aber dennoch etwas von seinen Worten vernommen haben, denn als Alistair mit seinem Vortrag endete, meinte der Botaniker: „Ja, nun, ich verstehe Ihr Anliegen durchaus, aber es ist alles nicht so einfach, müssen Sie wissen.“
„Kanäle sind nie ganz einfache Vorhaben“, stimmte Alistair zu. „Wenn man zudem darauf
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