Ein unverschaemt charmanter Getleman
eine Saison in London verbracht, und es ließ sich kaum vermeiden, dass sie in dieser Zeit auch etwas über das Wesen des Dandys lernte. Und hier hatte sie einen Dandy vor sich, wie er im Buche stand - wenngleich sie nie zuvor einem begegnet war, der seine Garderobe so stattlich zu füllen verstand.
„Nun, das ist natürlich etwas anderes“, sagte sie daher. „Gute Nacht, Mr. Carsington.“
Sie wendete ihr Pferd und ritt zurück.
Als sie zu Hause eintraf, fand sie ihren Vater zu ihrer Überraschung in der Eingangshalle auf und ab gehen. Normalerweise trank er um diese Zeit in der Bibliothek seinen Tee, las in seinen Botanikbüchern und ging danach noch in den Wintergarten, um den pflanzlichen Lebensformen dort eine gute Nacht zu wünschen.
„Oje. Du konntest ihn nicht überreden“, stellte er fest, als sie ihren tropfnassen Hut und Umhang dem Hausdiener reichte.
„Er hat nichts anzuziehen“, sagte sie.
Ihr Vater blinzelte sie verständnislos an.
„Er ist ein Dandy, Papa“, erklärte sie ihm. „Wenn man ihm die Kleidung versagt, die er für angemessen erachtet, ergeht es ihm wie einer Pflanze, der man die Nährstoffe entzieht. Er verwelkt und stirbt, und man vermag sich kaum vorzustellen, welche Qualen er bis dahin zu erleiden hat.“ Sie ging zur Treppe.
Ihr Vater folgte ihr. „Ich wusste, dass etwas nicht stimmt. Es verhält sich genauso wie mit den Kaktusstacheln.“
„Papa, ich bin völlig durchnässt und ein wenig verstimmt, und ich würde gern ...“
„Aber er humpelt“, beharrte ihr Vater.
„Das ist mir nicht entgangen“, erwiderte Mirabel. Wie sehr sie sich wünschte, dass er nicht auf so herzzerreißende und berückend tapfere Weise humpeln würde! Der bloße Anblick weckte Gefühle in ihr, die sie sich nicht leisten konnte und wollte. Es war einfach nur lächerlich - in ihrem Alter und nach ihren Erfahrungen ...
Sie ging die Treppe hinauf. „Soweit ich weiß, wurde er bei Waterloo recht schwer verwundet.“
Ihr Vater kam ihr hinterher. „Ja, Benton hat mir davon erzählt. Aber ich habe zudem den Verdacht, dass Mr. Carsington unwissentlich eine Kopfverletzung davongetragen hat. Ich habe schon von solchen Fällen gehört. Das würde es erklären, weißt du?“
„Was würde es erklären?“
„Die Kaktusstacheln.“
„Papa, ich habe nicht die geringste Vorstellung, was du meinst.“
„Nein, nein, das dachte ich mir.“ Sie hörte, wie seine Schritte hinter ihr verstummten. „Vielleicht versteht er die Sache mit den Tulpen ja doch nicht. Vielleicht hast du recht. Nun ja, gute Nacht, meine Liebe.“
„Gute Nacht, Papa.“ Mirabel stieg die restlichen Stufen hinauf und ging in ihr Zimmer. Doch sie fand keine Ruhe, obwohl sie müde war. Sie sagte sich, dass ihre Nerven überreizt waren, weil sie nicht darauf vorbereitet gewesen war. Wenn sie nur rechtzeitig von Mr. Carsingtons Ankunft gewusst hätte ... aber sie hatte nichts davon gewusst, hatte diese Wendung der Ereignisse nicht einmal geahnt.
Sie hatte Lord Gordmor falsch eingeschätzt, und das könnte verheerende Folgen haben. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass er so hartnäckig sein würde.
Sie hatte sich getäuscht, und nun war es zu spät, den Fehler wiedergutzumachen. Ihr blieb nur, es sich eine Lehre sein zu lassen. Sie hatte ihr Kalkül auf unzureichende Informationen begründet. Diesen Fehler würde sie kein zweites Mal machen.
Nachdem sie sich ihrer durchnässten Kleider entledigt und in ein warmes Nachthemd und einen Morgenmantel gehüllt hatte, ging sie in ihr Wohnzimmer. Dort machte sie es sich in einem gemütlichen Sessel vor dem Kaminfeuer bequem und schrieb einen Brief an Lady Sherfield in London. Sollte es etwas über Mr. Carsington zu wissen geben, von dem Tante Clothilde nicht wusste, dann musste man es nicht wissen.
Wie Miss Oldridge ihm prophezeit hatte, brauchte Alistair tatsächlich zwei Stunden für „die paar Meilen“ von Oldridge Hall bis zu Wilkerson’s Hotel, in dem er logierte.
Er traf dort bis auf die Haut durchnässt ein, was seinem Bein entschieden zuwider war, sodass es sich folglich auch widersetzte, ihm beim Treppensteigen gute Dienste zu leisten.
Aber Alistair war die Launen seines Beines schon gewohnt und schaffte es auch ohne dessen Wohlwollen bis in sein Schlafzimmer. Dort empfing ihn sein Kammerdiener Crewe, der seine Missbilligung mit einem Hüsteln zum Ausdruck brachte und ein heißes Bad empfahl.
„Es ist bereits zu spät, um die Diener heißes Wasser nach
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