Ein unverschaemt charmanter Getleman
nicht vernünftig sein. Immer war sie vernünftig und bedachte alles vorausschauend. Nun war sie einunddreißig Jahre alt. Warum konnte sie sich nicht dieses eine Mal eine Torheit zugestehen?
„Nun, wenn Sie so feine Haarspalterei betreiben wollen“, meinte sie mit leicht zittriger Stimme.
„Ich bestehe darauf“, erwiderte er. „Des Weiteren versuche ich nicht, mir Ihren Vater gewogen zu machen. Er war stets nett und freundlich zu mir, und nicht einmal um Ihretwillen ist es mir möglich, ihn nicht zu mögen. Falls hier überhaupt jemand sich hat vereinnahmen lassen, dann wohl ich. Und deshalb ..."
Ihm stockte der Atem, als sie ihn auf einmal beim Revers packte. „Miss Oldridge.“
Sie sah ihn abwartend an.
Er schaute pikiert auf ihre Hände hinab. „Sie zerknittern meinen Gehrock“, stellte er voller Entsetzen fest.
Mirabel lächelte, wenngleich ihr Herz so laut und heftig schlug wie Kanonenschüsse.
Sein Blick wanderte von ihren Händen hinauf zu ihrem Mund, und das Entsetzen in seiner Miene schwand dahin. Seine Augen schimmerten dunkel.
Ihr Atem kam und ging viel zu rasch, und ihre Knie drohten unter ihr nachzugeben. Entschlossen legte sie den Kopf in den Nacken.
Er beugte sich über sie - und wich sogleich wieder zurück. „Nein. Es steht zu viel auf dem Spiel. Ich darf nicht ...“
Mirabel zog an seinem Revers, zog ihn an sich und küsste ihn mitten auf den Mund.
Es war, als würde sie einen Holzklotz küssen.
Ihre Lebensgeister, die gerade noch so freudig erregt gewesen waren, fuhren in einen finsteren Abgrund hinab.
Sie wich zurück.
„Oh, nun machen Sie nicht so ein Gesicht“, bat er sie. „Ich bin nur ... Es ist nicht so, dass ich nicht wollte ... Ach, sei’s drum.“
Sein Gehstock fiel zu Boden.
Alistair umfasste ihr Gesicht und schaute sie einen schier endlosen Augenblick lang an. Mirabel hob ihre Hände und legte sie auf die seinen, die sich wunderbar warm anfühlten. Er berührte sie so behutsam, als ob sie zart und zerbrechlich wäre, doch das war sie nicht. Einen kurzen Moment lang schien alles seltsam und sinnlos. Schmetterlinge begannen, in ihrem Bauch aufzuflattern.
Dann senkte er seinen Mund auf den ihren, und mit der ersten sanften Berührung seiner Lippen veränderte sich alles.
Mirabel war zuvor schon geküsst worden - leidenschaftlich geküsst worden -, und sie hatte darauf mit Leidenschaft reagiert, weil sie verliebt gewesen war.
Aber dies hier war anders ... als wäre es eine andere Welt, und sie dachte nun weder an Leidenschaft noch an Liebe, sondern nur daran, dass es wundervoll war und ihr ganz schwach zumute werden ließ.
Er schlang seine Arme um sie, zog sie näher an sich und vertiefte den Kuss. Die Innigkeit dieser Liebkosung, ihn das erste Mal zu schmecken, ließen sie erschauern. Ihr Verstand setzte aus und überließ sie ganz dem Rausch ihrer Gefühle. Sie spürte das leichte Kitzeln seiner Halsbinde auf ihrer Haut, nahm schwach den Duft von Leinenstärke, Seife und noch etwas anderes wahr ... etwas noch viel Berauschenderes: den Duft seiner Haut. Sie wollte ihr Gesicht an seinen Hals schmiegen, wollte seine Haut auf der ihren fühlen - überall.
Sie schmiegte sich an ihn, drängte sich an seinen kraftvollen Körper. Seine Arme schlossen sich fester um sie, sie waren so stark, und sie, die so lange darauf vertraut hatte, selbst stark zu sein, sehnte sich auf einmal nach dem wohligen Gefühl solcher Hingabe. Gehalten zu werden, wie er sie hielt, ihn zu wollen und von ihm gewollt zu werden - es war eine schmerzliche Sehnsucht, die sie spüren ließ, wie sorgsam und sicher sie all diese langen Jahre in gefühlloser Starre verharrt hatte.
Sie wollte nicht mehr sicher sein. Ihrer beider Kuss wurde leidenschaftlicher, ungestümer und verführerischer, und das berauschende Glücksgefühl ließ sie trunken werden. Mirabel fuhr mit den Händen durch sein Haar, löste ihren Mund von dem seinen, um mit den Lippen seine Mundwinkel zu küssen ... dort, wo sich lauernd sein Lächeln verbarg. Sie sog seinen Duft in sich auf, männlich und rein und dennoch geheimnisvoll und auch ein wenig gefährlich - so wie der Hauch von Gefahr, den sie in seinem Schlafzimmer gespürt hatte, wo die Luft von einer wohligen Trägheit erfüllt schien und die sinnliche Atmosphäre Sündhaftes verhieß.
Er neigte seinen Kopf und begann, sie zu necken, wie sie es tat, liebkoste mit seinem Mund ihre Wange, ihr Kinn, ihren Hals. Ein Laut entfuhr ihr, eigentümlich fremd. Ein Seufzen,
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