Ein unverschaemt charmanter Getleman
würde sie selbst sich nur ärgern und den armen Nancarrow ins Unglück stürzen.
Und so fuhr sie fort.
Aber anders als Nancarrow annahm, fuhr sie nicht nach Hause.
Alistair kam gerade von seinem täglichen Spaziergang durch des Captains wohlgepflegten Park zurück, als der Zweispänner - für Nancarrow nicht einsehbar - einen kleinen Umweg über einen der hinter dem Haus vorbeiführenden Wege einschlug.
Da er von der soeben erfolgten Auseinandersetzung vor dem Haus nichts ahnte, fuhr Alistair leicht zusammen, als auf einmal eine Handvoll Kieselsteine an das Fenster seines Schlafzimmers prasselte, das im hinteren Teil des Hauses im ersten Stock gelegen war.
Als er ans Fenster trat, entdeckte er Miss Oldridge, die dort unten inmitten eines Blumenbeetes stand. Seine Lebensgeister befreiten sich augenblicklich aus dem finsteren Strudel, in den sie seit dem Frühstück beharrlich hinabgesunken waren.
Er öffnete das Fenster. „Miss ...“
„Psssst!“ Sie deutete zur Seite. Alistair sah hinaus, sah jedoch nur eine schon recht bejahrt aussehende Leiter an der Hauswand stehen. Ungläubig sah er zu, wie Miss Oldridge die wackelige Leiter herüberzog, bis sie genau neben seinem Schlafzimmerfenster lehnte.
„Miss Oldridge“, begann er.
Sie bedachte ihn mit einem ermahnenden Blick und legte den Finger an die Lippen. Dann kletterte sie hinauf.
Alistair fragte sich, ob er vielleicht träume. Da dieser Traum weitaus vergnüglicher war, als seine Träume es ansonsten zu sein pflegten, hatte er nichts dagegen einzuwenden, sich noch eine Weile daran zu erfreuen.
Es dauerte nicht lange, bis ihr fürchterlicher grauer Hut auf Höhe des Fenstersimses erschien. Einen Augenblick später schaute sie selbst zu ihm hinauf und schien es dabei selbstverständlich zu finden, ein ganzes Stockwerk über ebener Erde auf einer alten und gebrechlichen Leiter zu stehen.
Alistair hingegen war ganz schwindelig, als er in ihre dämmerig blauen Augen sah und sich überlegte, ob es wohl sicher wäre, sie rasch zu packen, von der Leiter und in seine Arme zu ziehen.
„Mr. Carsington“, sagte sie.
„Miss Oldridge.“
Sie strahlte ihn an. „Ich bin gekommen, Sie um einen Gefallen zu bitten.“
Ihr Lächeln erweichte sogleich sein Gehirn. „Was immer Sie wollen“, erwiderte er.
„Ich dachte, dass Sie vielleicht zu erfahren wünschten ..." Sie runzelte nachdenklich die Stirn. Das Lächeln wich aus ihrem Gesicht, und sie lehnte sich ein wenig zurück.
Alistair griff erschrocken nach der Leiter. „Tun Sie das nicht! Sind Sie verrückt geworden?“
„Oh nein, Sie sind noch sehr krank“, befand sie. „Kein Wunder, dass Nancarrow mich nicht zu Ihnen lassen wollte. Ich hätte es wissen müssen.“ Sie begann hinabzuklettern.
„Ich bin nicht krank“, sagte er nachdrücklich.
Sie hielt inne. „Sie sehen aber furchtbar aus. Ganz gewiss sollten Sie nicht hier am offenen Fenster stehen.“
„Miss Oldridge, wenn Sie mir nicht sogleich sagen, worum es geht, werde ich Ihnen hinterherklettern“, erwiderte er. „Ohne meinen Mantel und sogar ohne meinen Hut!“
Sie kam erneut hinauf. „Sie werden nichts dergleichen tun. Ich kam nur in einer geschäftlichen Angelegenheit. Mir war nicht bewusst, wie sehr das Ihren Verstand strapazieren würde.“
„Was für eine Angelegenheit? Sie meinten, Sie wollten mich um einen Gefallen bitten.“
„Sozusagen.“ Sie blickte auf die Leitersprosse hinab, an der sie sich festhielt. „Aber ich habe es nicht ausreichend durchdacht. Ich hatte nicht bedacht, wie sehr Sie in Lord Gordmors Schuld stehen. Sich entscheiden zu müssen zwischen Integrität und Loyalität...“ Sie schüttelte den Kopf. „Die Entscheidung ist zu schwer, als dass ich Sie Ihnen aufbürden wollte, solange Sie noch krank sind.“
„Ich bin nicht krank“, wiederholte er.
Sie schaute ihn aufmerksam an. „Etwas ist aber nicht in Ordnung.“
„Ja, etwas ist nicht in Ordnung“, stimmte er ihr zu. „Etwas ist ganz entschieden nicht in Ordnung. Sie. Ich. Das hier mit einer Geste umfing er den Raum zwischen ihnen, „... was zwischen uns ist.“
Sie schaute nach unten - und ihm schien es entsetzlich weit unten zu sein. Ihre behandschuhten Hände schlossen sich fester um die Sprosse, an der sie sich hielt. „Ich wünschte, Sie hätten das nicht gesagt.“
„Es war nicht meine Absicht. Aber Sie ..." Er verstummte, weil sie auf einmal noch weiter hinaufstieg, ganz geschwind, und sich dann auf den Fenstersims
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