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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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und England, wo der Viktorianismus die Menschen immer noch fest im Griff hatte. Er fand es jedenfalls ganz natürlich, dass es die Künstler nach Berlin zog. Oder wie er es ausdrückte: Was wären sie ohne Schnaps und Sex?
    Das Zentrum Berlins hatte sich im Zuge der Neugestaltung Tiergartens zum Kurfürstendamm hin verschoben, was von Ehrenwall jedoch nicht beeinflusst zu haben schien, der in Tiergartens eleganter Straße In den Zelten in Spreenähe wohnte.
    Amelie stopfte die Wegbeschreibung in die Tasche und klopfte an. Der Weg war überraschend leicht zu finden gewesen. Sie hatte erwartet, dass ihr eine Haushälterin öffnen würde, aber von Ehrenwall erschien selbst in der Tür. Verblüfft stand sie da, ohne sich vom Fleck zu rühren, aber er lächelte sie hinter seinem riesigen Weihnachtsmannbart freundlich an.
    »Frau Posse-Brázdová, endlich. Ich dachte schon, Sie hätten sich in Berlin verlaufen.«
    Er nahm ihren Mantel und wies ihr den Weg in die Wohnung. Dann bat er sie, auf der Couch Platz zu nehmen, während er ihr ein Glas Whisky einschenkte.
    »Oder ist das zu stark für die gnädige Frau?«
    Amelie schüttelte den Kopf. Nach der langen Reise von Rom nach Berlin und angesichts ihrer Sorge um Sören Christer hatte sie das Gefühl, etwas Stärkendes vertragen zu können. Außerdem beschäftigten sie dringliche Fragen, die sich während der Zugfahrt ergeben hatten. Fragen, auf die von Ehrenwall ihr hoffentlich beruhigende Antworten geben würde. Die Neuigkeiten, die sie aus der Anstalt erreicht hatten, als sie krank gewesen war und ihre Briefe nicht hatte lesen können, waren alarmierend. Sören Christers gesammelte Zeilen waren die schrecklichste Lektüre, der sie sich jemals hatte stellen müssen.
    Er reichte ihr das Glas und fragte, ob sie etwas Sodawasser haben wolle. Amelie schüttelte den Kopf.
    »Sie haben Mut, Frau Posse-Brázdová.«
    »Verzeihung?«
    Sie lachte nervös.
    »Ich habe starke Frauen wie Sie schon immer bewundert«, erläuterte er und lächelte breit.
    Amelie musterte die Wohnung und sah sofort, dass sie eingerichtet zu sein schien, um Eindruck zu schinden: der Kronleuchter an der Decke, die schweren Jugendstilmöbel, die handgeknüpften persischen Teppiche. Richtig kombiniert hätte Amelie das alles sicher geschmackvoll und luxuriös gefunden. So aber wirkte das Ganze auf sie nur protzig und unpersönlich.
    Sie bezweifelte nicht, dass von Ehrenwall mit seiner Klinik ein Vermögen gemacht hatte, und es störte sie nicht im Geringsten, wenn umtriebige Menschen reich wurden. Vielleicht hatte von Ehrenwall auch ein Vermögen geerbt, darüber wusste sie nichts, aber wer Geld erbte, pflegte im Allgemeinen auch die Fähigkeit zu übernehmen, sich trotz teurer Möbel in einem persönlichen Stil einzurichten.
    Eins war jedenfalls sicher: in Deutschland Geld zu haben war nicht leicht. Viele sahen ihr Gespartes Tag für Tag an Wert verlieren. Um als Unternehmer über die Runden zu kommen, musste man den Preis für seine Waren und Dienstleistungen immer wieder anheben, je mehr die Währung abstürzte.
    Bei ihrer Scheidung von Andreas war festgelegt worden, dass er den größten Teil der Unterhaltskosten für Sören Christer übernehmen sollte. Das Meiste des Geldes von Andreas an Amelie floss folglich direkt nach Ahrweiler. Diese Lösung behagte ihr eigentlich nicht. Viel lieber hätte sie mit ihrem eigenen Geld die Hälfte der Kosten für Sören Christer übernommen, und zwar aus einem einzigen Grund: Dann hätte sie entscheiden können, was getan werden sollte. So aber trug Andreas den Löwenanteil der Verantwortung – obwohl er praktisch nichts darüber wusste, was in Ahrweiler vorging. Amelie hatte ihn gedrängt, hinzufahren und sich selbst ein Bild von der Behandlung zu machen, aber er schob den Besuch vor sich her und erklärte, frühestens im Frühling fahren zu können, wenn er in Dorpat weniger unterrichten musste. Sie fand das unverantwortlich – und ganz typisch für ihn.
    Auf den langen Brief, den sie ihm kurz vor ihrer Erkrankung geschickt hatte, hatte er ihr geantwortet, er ertrage es nicht, zwanzigseitige Briefe zu lesen. Das hält keiner aus, hatte er ihr geschrieben.
    Aber sie wollte nicht ungerecht sein. Andreas tat, was er konnte. Die ständigen Lungenentzündungen hatten ihn viel Kraft gekostet, das wusste sie. Madeleine hatte in ihren Briefen zudem bestätigt, dass die Krankheiten Andreas’ Karriere in Dorpat ein Ende zu setzen drohten. Auf Amelies Bitte, Sören

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