Ein unversoehnliches Herz
vermutet oder auch Briefen entnommen hast, daran, dass ich in den zwei Jahren seit unserer letzten Begegnung ungefähr so krank gewesen bin wie in Harzburg und in den letzten drei Monaten kränker als seit den Blutungen 1920, und zwar als Folge einer doppelseitigen Lungenentzündung. Es hat dafür also keine anderen Gründe gegeben. Ich bin im Moment vorübergehend in Stockholm, zum einen, um die Sache mit Sören Christer zu regeln, und zum anderen, um eine Entscheidung darüber herbeizuführen, ob ich in Dorpat oder hier in Stockholm bleiben werde. Ich hoffe allerdings, dass Du mein Buch bekommen hast, das der Verlag Dir meinen Anweisungen zufolge schicken sollte. Die Presse war zu Anfang ein wenig träge, aber in den letzten Tagen ist es bedeutend besser geworden (siehe Svenska Dagbladet am 18.6. und Dagens Nyheter am 23.6.); und nun sollen fünf Professoren an Zeitschriftenartikeln arbeiten, die, Briefen nach zu urteilen, sehr zufriedenstellend ausfallen werden. Übrigens hat Dein Freund Goll, mittlerweile Generalstaatsanwalt, sich sehr ausführlich in zwei Nummern von Nationaltidende geäußert und versprochen, einen eher wissenschaftlich gehaltenen Artikel in einer juristischen Zeitschrift zu veröffentlichen. Ich bin allerdings noch zu erschöpft, um mich über Erfolge zu freuen. Wir werden sehen, ob ich noch einmal auflebe.
Ich schreibe Dir nunmehr jedoch in einer ausgesprochen traurigen Angelegenheit, nämlich Sören Christer betreffend.
Er gehört, wie Du weißt, zu jener Klasse Degenerierter, die man Psychopathen nennt, welche in der Regel zu Hochstaplern, Schwindlern von höchstem, niedrigerem oder niedrigstem Niveau etc. verfallen oder geisteskrank werden. Wahrscheinlich würde Dir das Wort Psychopath nicht viel sagen, wenn Du nicht, wie man mir im Außenministerium im Vertrauen und privat mitgeteilt hat, dienstlich mit relativ vielen dieser Gestalten zu tun gehabt hättest. Leider kann ich Dir nicht verschweigen, dass Sören Christer, soweit ich sehen kann, ein ziemlich schwieriger Fall dieser Art zu sein scheint; er ist allerdings auf Grund seines Talents, sich zu verstellen, nur sehr schwer zu beurteilen. Gegenwärtig wirkt er in unserer Gesellschaft – Madeleine, Poul, Mutter, mir etc. – vor allem apathisch; aber er muss sich zweifelsohne unter Gleichaltrigen ganz anders benehmen, fröhlich und nett, außerdem hat er diverse Proben eines gewissen Unternehmungsgeists an den Tag gelegt; jedenfalls musst Du damit rechnen, dass seinen Worten nicht zu trauen ist. Er ist körperlich vollkommen gesund (obwohl es ihm gelungen ist, sich wegen eines »nervösen Herzfehlers« vor dem Wehrdienst zu drücken).
Nach eingehenden Diskussionen mit Ärzten und anderen, die ihn seit vielen Jahren kennen, und nach schier endlosen Grübeleien darüber, wie er versorgt werden könnte, bin ich nunmehr zu dem Schluss gelangt, dass es das Beste oder offen gesagt das einzig Mögliche sein wird, ihn nach Australien zu schicken. In einer Nervenheilanstalt wird er nicht aufgenommen, und hier in Stockholm ist er jetzt vier Monate ohne jede Beschäftigung gewesen und hat dabei bis zu achthundert Kronen im Monat ausgegeben.
Worum ich Dich nun bitten möchte, ist Folgendes:
1) Ihn in Deinem Büro ein- oder eventuell auch zweimal zu empfangen und ihm dabei sachlich, ohne seinen äußerst ermüdenden Einwänden Aufmerksamkeit zu schenken, seine Stellung als mittelloser Arbeitssuchender in Australien vor Augen zu führen. Allem menschlichen Ermessen nach wird er Dir gegenüber, wie auch uns erwachsenen Verwandten, gleichgültig, apathisch, geradezu schüchtern auftreten und in Aussicht stellen, als Schwerarbeiter zu arbeiten etc. (was er, wenn er es sagt, tatsächlich glaubt) oder als Millionärssohn mit der Aussicht auf große Unterhaltszahlungen etc. Im erstgenannten Fall bitte ich Dich, ihm eine gewisse Protektion zuzusagen, im letztgenannten, ihm mitzuteilen, dass ich Dir geschrieben habe, womit er rechnen kann. Du musst, wie gesagt, stets sachlich bleiben und jegliche formelle Härte vermeiden, was ausgesprochen schwierig ist; Ärzte, denen alle disziplinarischen Mittel einer Erziehungsanstalt zur Verfügung standen, und ich selbst und andere haben es vergeblich mit Strenge versucht, die nur dazu führt, dass er sich verhärtet und sich allem, was man ihm sagt, verschließt. Im Übrigen wirst Du ihn natürlich den Umständen entsprechend behandeln müssen.
2) Ihm bei eurer ersten Begegnung zu versprechen, ihn zu einem
Weitere Kostenlose Bücher