Ein unversoehnliches Herz
Tochter. Abgesehen davon, dass keiner die Arbeitsabläufe so gut kannte wie sie, war sie eine begnadete Klatschtante und versorgte Einar mit Informationen zu allem, was nicht zuletzt in der englischen Kolonie vorging.
»Der Herr Konsul hat Besuch«, sagte sie und legte ein Blatt auf seinen Schreibtisch.
»Etwas Wichtiges?«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Der junge Mann hat mir das hier gegeben«, sie zeigte auf das Blatt, »und behauptet, Sie wüssten dann schon Bescheid.«
»So, so«, sagte Einar und nahm das Papier in die Hand.
Er las den kurzen Brief und wusste in der Tat nur zu gut, worum es ging. Er lehnte sich zurück, ehe er aufstand, um erneut die Aussicht aus seinem Büro zu genießen.
»Sagen Sie dem jungen Herrn Bjerre, dass ich ihn um zwei empfangen kann.«
Frau Hamilton wirkte überrascht, nickte jedoch und verließ den Raum.
Einar wusste nicht recht, warum er zwei Uhr gesagt hatte. Aber er hatte instinktiv gespürt, dass er etwas Zeit brauchte, um sich innerlich zu wappnen. Obwohl er gründlich informiert war, sah er sich in eine merkwürdige Situation versetzt. Das Treffen war eines von vielen, auf die er gerne verzichtet hätte. Normalerweise ging es um langweilige geschäftliche Termine mit anderen Beamten, bei denen die meisten genau wie er über ihre Posten in dieser entlegenen Gegend jammerten. Jeder von ihnen hatte seine Versetzung als weitere Stufe auf der Karriereleiter gesehen und zu spät gemerkt, dass er weit weg vom Zentrum der Ereignisse und ohne große Chancen auf eine Beförderung war. Australien, wie einer von ihnen es einmal ausgedrückt hatte, war ein Ort für begnadete Strafgefangene und abgeschobene Schreibtischtäter.
Dieser Termin war jedoch ganz anders geartet; eine Privatsache oder vielmehr ein Freundschaftsdienst. Er las sich noch einmal den kurzen Brief durch, der in englischer Sprache verfasst war, um als Empfehlungsschreiben benutzt werden zu können.
Mr. E. Lindquist
Swedish Consul General to the Commonwealth of Australia
Dear old friend,
the bearer of this letter ist my son Sören Christer, whom you have known since he was born and whom i recommend to you – whatever you can do for him I will regard as done for myself. I am sure that for old friendship’s sake you will take an interest in him. I have written to you some time ago and hope to hear from you very soon.
Yours affectionately,
Andreas Bjerre
Stockholm 26.6.1925
Oh ja, er war auf die Ankunft des jungen Sören Christer in Sydney vorbereitet gewesen. Tatsächlich hatte er ihr mit Schaudern entgegengesehen. Sein Vater Andreas stand bei ihm hoch im Kurs, er war ein guter Freund, auch wenn sie nur noch sporadisch Kontakt hielten, seit Einar seine Karriere beim Außenministerium begonnen hatte.
Als er jünger war, hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als in die Welt hinauszureisen und sich nützlich zu machen. Inzwischen konnte er sich nichts Wundervolleres vorstellen als ein richtiges schwedisches Mittsommerfest oder einen traditionellen Luciazug. Dabei war es ihm immer gegen den Strich gegangen, solche Feiertage zu begehen. Vielleicht war er einfach nur älter geworden.
Ja, ihn hatte das unvermeidliche Heimweh übermannt, das früher oder später alle packte. Wo man wollte, dass alles wieder so war wie in der Kindheit, wo man schmecken wollte, woran man sich erinnerte, wenn man auf einmal fand, dass jeder Jüngere ungehobelt sprach, wenn man sich danach sehnte, das Haus wiedersehen zu dürfen, in dem man aufgewachsen war. Obwohl es dort alles andere als fröhlich zugegangen war. Doch jetzt saß er hier und vermaß in Gedanken die Kopfseite, die zu dem großen Rasen hin lag, und entsann sich der Hängematte und der zahlreichen wirren Onkel und konfusen Tanten.
Von sich selbst enttäuscht, weil er seine Gedanken nicht im Zaum halten konnte, schüttelte er den Kopf und öffnete die unterste Schreibtischschublade, in die er den Brief gelegt hatte, den Andreas ihm geschickt hatte und auf den das Empfehlungsschreiben Bezug nahm. Obwohl er es am liebsten gelassen hätte, wusste er, dass er ihn noch einmal lesen musste. Er hatte das Schreiben niemandem, nicht einmal seiner Frau gezeigt. Sie kannte Andreas allerdings auch nur flüchtig, war ihm nur wenige Male begegnet.
Einar seufzte schwer und begann zu lesen.
Stockholm, den 24. Juni 1925
Lieber Einar!
Vielen Dank für all Deine Karten, Bücher und Geschenke! Dass ich Dir nicht geschrieben habe, lag, wie Du vielleicht schon
Weitere Kostenlose Bücher