Ein unversoehnliches Herz
bitten, ihm dieses Geld von einem Deiner Mitarbeiter wöchentlich auszahlen zu lassen. Am besten schicke ich es Dir zu Anfang jedes Quartals. Das Startkapital, 40 Pfund (800 Kronen) sollte ja abzüglich der Reise nach Adelaide oder Melbourne usw. zumindest 2–3 Monate reichen. Dass Amelie ihm auch etwas geben kann, ist eher unwahrscheinlich. Seit er von zu Hause fortgeschickt wurde, hat er mich mehr als 75 000 Kronen gekostet, und jetzt kann ich nicht mehr.
Ich schicke diesen Brief mit normaler Post und in Kopie als Einschreiben, außerdem werde ich ihm ein kurzes, offenes Empfehlungsschreiben an Dich mitgeben. Des Weiteren bekommt er ein Empfehlungsschreiben an einen gewissen Mr. Peters, dem ich ausführlicher direkt schreibe. Da er in Sydney lebt, nehme ich an, dass Du ihn kennst.
Ja, lieber Freund, wie sehr mich das alles mitgenommen hat und was ich in diesen Tagen empfinde, kannst Du Dir wohl denken. Ich selbst und andere, die sich, wie ich hoffe, auf Dinge dieser Art verstehen, glauben zwar, dass zumindest die Aussicht besteht, dass er dadurch gerettet werden kann, nunmehr auf sich selbst gestellt zu sein. Aber die Ungewissheit ist natürlich schrecklich.
Es tut mir selbstverständlich weh, Dich mit ihm belästigen zu müssen. Aber für Dich ist er ja letzten Endes ein fremder Junge, und ich habe Dich ja auch ausschließlich um negative Dinge zu bitten.
Ebenso schwierig wie all das sind meine persönlichen Verhältnisse. Ich habe ungeheure Schulden, von denen 20 000 ohne Sicherheit sind und bloß gestundet werden, weil es sich für die Banken momentan nicht lohnen würde, mich in Konkurs zu versetzen. Und ich habe kein geregeltes Einkommen.
In Dorpat kann ich wegen meiner gesundheitlichen Verfassung nicht bleiben − fünf Lungenentzündungen in drei Jahren. Vorstellbar sind Aufträge, mein Material auszuarbeiten, aber das wäre natürlich befristet und unsicher; die Sache entscheidet sich in diesen Tagen, was mir, wie Du verstehen wirst, ein steter Grund zur Sorge ist.
Am schlimmsten steht es jedoch um meine Gesundheit. Es ist wohl überaus fraglich, ob ich jemals wieder richtig gesund werden kann, zumindest empfinde ich es derzeit so.
Ich hoffe, Dir bald froheren Mutes schreiben zu können. Ich danke Dir jedenfalls für alles, was Du für Sören Christer tun kannst.
Dein ergebener
Andreas
Einar war mulmig zumute, und er ging im Zimmer auf und ab. An manchen Tagen hatte er das Gefühl, dass sich die Stunden dahinschleppten.
Er rückte das Dalapferd gerade, pustete etwas Staub fort und sorgte dafür, dass das Universitätsdiplom gerade hing. Nachdem er regungslos in der Zimmermitte gestanden hatte, ging er zur Wand und betrachtete das gemalte Porträt Gustav V. Der König erwiderte auffordernd Einars Blick. Die kleinere Fotografie von Premierminister Branting hing auch noch an der Wand, aber Einar hatte den Trauerflor abgenommen. Eine Fotografie seines Nachfolgers Sandler war trotz wiederholter Anfragen Einars noch nicht aufgetaucht.
Er beobachtete eine Fliege, die auf der Wand krabbelte. Sie flog auf, landete jedoch sofort wieder an der gleichen Stelle. Plötzlich, wie aus dem Nichts, wurde sie von einer Spinne angegriffen, die sich hinter dem Porträt des Königs versteckt hatte. Mit einem Satz war sie bei der Fliege, die wild mit ihren Flügeln schlug. Dann wurden ihre Bewegungen matter, je stärker das Gift wirkte. Langsam zog sich die Spinne daraufhin, die Fliege fest im Griff, zum Fußboden zurück, wo sie eine Ritze fand und verschwand.
Was für ein seltsamer Anblick, dachte Einar. Er faszinierte ihn wegen seiner Unerbittlichkeit und weil das Ganze so überraschend geschehen war. Etwas Vergleichbares hatte er noch nie gesehen. Binnen weniger Sekunden war alles vorbei gewesen. Ein Leben war ausgelöscht worden. Spinne und Fliege waren gleich groß, trotzdem war das eine Tier Jäger und das andere Beute.
Er setzte sich und überlegte, warum ihn diese Szene so tief berührt hatte.
Natürlich erinnerte er sich an Sören Christer, der damals jedoch noch ganz klein gewesen war. Von Andreas, dem er aus natürlichen Gründen immer sporadischer begegnet war, hatte er nur Schlechtes über den Jungen gehört. Dass er sich in einer Nervenheilanstalt aufgehalten hatte, war ihm bekannt gewesen. Allerdings hatte er angenommen, dass er durch die Folgen von Andreas’ aufreibender Scheidung von Amelie und pubertäre Sorgen dort gelandet war. In dem Brief, den Andreas ihm geschickt hatte, klang der Junge
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