Ein unversoehnliches Herz
erst siebenunddreißig Jahre alt, wusste aber sehr wohl, dass er schon jetzt als der wichtigste Vertreter der schwedischen Seelenheilkunst betrachtet wurde. Sechs Jahre waren vergangen, seit er die Klienten des pensionierten Otto Wetterstrand übernommen hatte, der sich einen Namen als führender Hypnosearzt gemacht und schlafverlängernde Techniken ausgearbeitet hatte.
Es war der letzte Tag des Kongresses, als Poul auf dem Podium stand und sein Vorlesungsmanuskript Das Bewusste im Kampf mit dem Unbewussten vorstellte. Von der Bühne aus sah er mehrere Gesichter, die seinen Ausführungen interessiert lauschten, als er detailliert darauf einging, dass Schlaf und Wachzustand in einem Konflikt miteinander standen, sich in manchen Fällen jedoch auch in einem relativ harmonischen Spannungsverhältnis befanden. Aber so sehr er auch suchte, sie konnte er im Publikum nirgendwo entdecken, sie, die ihm doch versprochen hatte, da zu sein.
An einer Stelle, als er ihr Gesicht zu erkennen glaubte, verlor er beinahe die Fassung und verhaspelte sich. Das sah ihm nicht ähnlich. Aber er schob die Gedanken beiseite, er durfte nicht an sie denken, nicht jetzt. Er räusperte sich und sprach weiter, auch wenn es einen Moment dauerte, bis er zur richtigen Zeile in seinem Redemanuskript zurückgefunden hatte.
Der Rest des Vortrags verlief gut, fast besser als erwartet, und der anerkennende Applaus hinterher machte ihn stolz. Im Laufe des Kongresses waren bei weitem nicht alle Beiträge so freundlich aufgenommen worden. Als er die kleine Treppe vom Podium hinabstieg und sich wieder auf seinen Platz setzte, kamen mehrere Teilnehmer zu ihm und klopften ihm auf die Schulter. Er spürte, dass er ein wenig errötete. Aber er war in diesem Moment entspannt.
Schlimmer hatte er sich gefühlt, als er darauf wartete, auf das Podium gerufen zu werden. Sein Mund war vollkommen ausgedörrt gewesen, so sehr er auch schluckte und Speichel zu sammeln versuchte. Er ließ den Blick suchend schweifen, um zu sehen, ob man Wasser bereitgestellt hatte. Ich darf nicht vergessen, dachte er, einen ordentlichen Schluck zu nehmen und den Mund auszuspülen, ehe ich anfange. Denn er wollte nicht klingen wie Federn, dessen Mund so trocken gewesen war, dass man ihn kaum verstanden hatte, es war von Satz zu Satz mühsamer geworden. Von dem, was er sagte, war kein Wort mehr zu verstehen gewesen.
Poul war nach seinem Beitrag guter Dinge, saß entspannt auf seinem Stuhl und sah jemanden auf das Podium hinken, um das verbleibende Programm durchzugeben, zunächst Mittagessen und anschließend Versammlung um drei Uhr. Der Mann, den Poul zwar wiedererkannte, aber nicht einordnen konnte, sprach in einem heftigen Stakkato und schien nicht zu bedenken, dass er zu einem Publikum sprach, denn er drehte sich von links nach rechts und kehrte seinen Zuhörern manchmal fast den Rücken zu, sodass man kaum ein Wort verstand.
Das ist so typisch für diese alten Banausen, dachte Poul. Sie sind nicht in der Lage, anders zu sprechen als sonst auch, wenn sie hinter ihren Universitätskathedern stehen und vor Studenten schwafeln, die nur wissen wollen, was sie tun sollen, um ihre Prüfung zu bestehen.
Es wird gut tun, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Er wandte sich um, weil er sehen wollte, ob er sie jetzt irgendwo entdecken konnte. Erneut meinte er sie zwischen den zahlreich vertretenen Altherrenköpfen flüchtig ausmachen zu können, er streckte sich, musste jedoch schnell erkennen, dass er sich wieder geirrt hatte.
Er biss sich auf die Lippe.
Es war ein langer Tag gewesen, besser gesagt waren es einige lange Tage gewesen. Die vielen Konflikte hatten das Ganze auch nicht leichter gemacht. Jung weigerte sich, an Abstimmungen teilzunehmen, und seine Anhänger folgten seinem Beispiel, tuschelten und schmollten die meiste Zeit. Poul war überzeugt, dass sie den jährlich stattfindenden Kongress zum letzten Mal besucht hatten. Am Morgen erst hatte das Gerücht die Runde gemacht, Freud wolle die ganze Bewegung auflösen, sie in Stücke zerfallen lassen.
Poul hatte jedoch seine eigene Erklärung dafür, warum Freud sich so unmöglich verhielt. Seine verfluchte Selbstgefälligkeit und die Angewohnheit, sich dauernd mit der Arbeit anderer zu schmücken, war für die Verwirrung in der Bewegung verantwortlich. Darüber regte sich auch Poul am meisten auf. Kein Wunder, dachte er, dass die Leute andere Wege einschlagen wollen, wenn ihre Forschungsergebnisse erst geprüft und genehmigt
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