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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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sah, einen Schlag in den Nacken. Du fingst nicht an zu weinen, aber deine Unterlippe zitterte und du bliebst mit nach innen angewinkelten Füßen stehen. Dann verbargst du dein Gesicht im Ärmel des Pullovers, schämtest dich und nahmst die Schläge entgegen.
    Oh, die Erinnerungen …

Ich habe den Eindruck, dass Sie den Kölner Dom
    unter Mineralogie abhandeln statt unter Architektur.
    München, 6. September 1913
    Die Psychoanalytische Bewegung entwickelte sich binnen kürzester Zeit von einem losen Zusammenschluss von Ärzten, die sich freundschaftlich verbunden auf das Seelenleben des Menschen spezialisiert hatten, zu einem Konfliktherd, in dem sich verschiedene Fraktionen über Forschung, Behandlung und konkretisierende Beispiele stritten. Die Tatsache, dass Jung in Zürich inzwischen fast so berühmt war wie Freud in Wien, trug auch nicht unbedingt zu einem Gleichgewicht der Kräfte an der Spitze der Bewegung bei. Freud, der Jung jahrelang als den Schüler betrachtet hatte, der ihm am nächsten stand, glaubte zu spät erkannt zu haben, dass sich ein Vatermord anbahnte.
    Allerdings gab es abgesehen von Jung innerhalb wie außerhalb der psychoanalytischen Bewegung auch noch andere Kritiker Freuds. Manche verurteilten ihn sogar rundweg. Es gab Leute, die der Auffassung waren, er sei ein jüdischer Arzt aus dem Bürgertum, der es allein auf Ehre und Ruhm abgesehen habe – und auf Geld. Andere erklärten, er sei ein Kokainist, der eher halluzinativ als wissenschaftlich fundiert schreibe. Oder dass er nur von seinem Hass auf die viktorianische Gesellschaft geleitet werde, was sich vor allem in seiner Konzentration auf den Vater und die sexuelle Fixierung auf die Mutter zeige.
    Außerdem wurde einigen der Pioniere vorgeworfen, wahnwitzige Theorien vorgelegt und ihre Forschungsergebnisse anschließend manipuliert zu haben, um diese zu belegen. Als abschreckendes Beispiel wurde in diesem Zusammenhang gerne Wilhelm Fließ genannt, ein Hals-Nasen-Ohrenarzt aus Berlin, der Freud zu Anfang seiner Laufbahn stark beeinflusst hatte. Seine Theorien über Biorhythmen, deren vorherbestimmtes Tagesschema Frauen und Männer beeinflusse, wiesen ihm zufolge nach, dass jeder Mensch bisexuell war. Außerdem ließen sich laut ihm die meisten psychischen Erkrankungen durch einen chirurgischen Eingriff an der Nasenmuschel heilen. Problematisch war an Fließ’ Forschung nur eines: Seine Theorien wurden durch keine Untersuchung auf der Welt gestützt. Trotz dieses schwerwiegenden Mankos übernahm Freud in seinen frühen Schriften einige Ideen des Kollegen und ließ sich von Fließ darüber hinaus die Nasenmuschel operativ entfernen. Am Ende wurde Fließ dennoch ausgeschlossen, was zu einem langwierigen Streit über Plagiatsvorwürfe führte. Nach Meinung der meisten hatte Freud viel zu spät gehandelt, denn das Kind war bereits in den Brunnen gefallen, und kein Mensch würde die psychologische Wissenschaft fortan noch ernst nehmen können.
    1913, als es in der Bewegung wirklich in allen Fugen knirschte, standen jedoch keine Theorien über die sexuelle Anziehungskraft der Eltern, Viktorianismus oder Nasenmuscheln im Mittelpunkt des Interesses. Stattdessen konnten sich die führenden Vertreter der Psychoanalyse nicht über den Einfluss des Okkulten einigen. Freud scheute den Gedanken an das Übernatürliche und nannte die Religion eine Manifestation des Infantilen. Jung stand seinerseits Freuds grundlegender Idee der sexuellen Triebe unverhohlen kritisch gegenüber und vertrat die Auffassung, sie stelle andere, ebenso wichtige Elemente wie die Religion in den Schatten. Am Ende führten ihre unterschiedlichen Meinungen über das Verhältnis des Menschen zu einer höheren Macht zu einem Ende ihrer Zusammenarbeit.
    Trotzdem griffen beide die Religion in ihren Schriften auf, wenn auch in diametral entgegengesetzter Weise: Während Freud sie mit einer Neurose verglich, meinte Jung, Gott könne viele verschiedene Gestalten annehmen. »Ich glaube nicht«, erklärte Jung in einer berühmten Bemerkung, »ich weiß. « Freud hielt diese subjektive Gottesüberzeugung in einer wissenschaftlichen Argumentation für unhaltbar, sie führe dazu, dass die gesamte Bewegung gefährdet werde. Nachsichtiger begegnete er Jungs schlechter Angewohnheit, ständig mit seinen Analysandinnen zu schlafen.
    Während eines Besuchs Jungs bei Freud in Wien diskutierten die beiden, ob heftige innere Konflikte zu sogenannten Poltergeistaktivitäten führen könnten. Freud war

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