Ein unversoehnliches Herz
werden sollen – um anschließend als die Ergebnisse des Meisters präsentiert zu werden.
Das war Freuds Spezialität, und am schlechtesten behandelte er fast noch jene, die hinter ihm standen. Poul erkannte sich darin wieder. Er hatte vehemente Kritik einstecken müssen, als er Freud und seine Theorien in Stockholm eingeführt hatte. Manch einer war der Meinung gewesen, dass er seine ganze Karriere aufs Spiel gesetzt hatte, als er vor dem Schwedischen Ärztebund einen derart suspekten Forscher wie Freud vorstellte.
Viele hätten an dem Punkt sicher gezögert, aber Poul war sich seiner Sache sicher gewesen. Er hatte gewusst, dass die Zukunft ihm Recht geben würde. Zwei Jahre waren seit seinem Vortrag vergangen, zwei Jahre voller Vorwürfe und Intrigen, in Schweden so gut wie in aller Welt.
Er wurde aus seinen Überlegungen gerissen, als sich ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter legte. Er drehte sich um und ging davon aus, dass ihm noch jemand für seinen Kongressvortrag danken wollte. Stattdessen sah er in ihr Gesicht und spürte augenblicklich, dass er errötete – er wusste nicht, woran es lag, aber sie hatte diese Fähigkeit, Menschen dazu zu bringen, sich von ihrer Aufmerksamkeit gleichzeitig belästigt und geschmeichelt zu fühlen.
»Es tut mir so leid, lieber Poul«, sagte sie und breitete die Arme aus, »ich musste jemanden mit Heimweh zum Zug begleiten. Allein hätte er niemals den Weg gefunden.«
Sie hatte seinen Vortrag also verpasst, um jemanden zum Bahnhof zu begleiten. Vermutlich diesen Dichter, dachte er. Und danach liefen seine Gedanken Amok: War dieser kleine Mann so ein Krüppel, dass er sich nicht einmal allein zum Bahnhof begeben konnte? Im Grunde verstand er nicht, was sie an ihm fand. Er sei ein wichtiger Dichter, sagte sie – avantgardistisch , mit diesem bewundernden Tonfall, avantgardistisch, als wäre das so unglaublich viel wichtiger, als die altmodischen Attribute bedeutend oder intelligent.
Poul konnte ihren Argumenten nicht folgen, so sehr er es auch versuchte. Er ist doch einigermaßen seltsam, versuchte er ihr mehrfach zu erklären. Aber sie wischte seine Einwände vom Tisch und lachte: Aber so schön, Poul, so schön und so begabt! Poul wiederum sah eher, dass er die meiste Zeit schwieg, den runden Kopf ein bisschen schräg gelegt und die eng stehenden Augen mit den weiblich langen Wimpern halb geschlossen hatte.
Ehe Poul wusste, wie ihm geschah, war sie mit ihm aus dem Raum gehuscht. Er kam kaum dazu, einigen Leuten zum Abschied zuzuwinken, mit denen er eigentlich beim Mittagessen hatte zusammensitzen wollen, um eine eventuelle weitere Bearbeitung seines Vortrags und die Veröffentlichung im Kongressband zu diskutieren. Flüchtig erblickte er Jung und seinen Kreis in einer Ecke, wo sie mit dem Rücken zum Raum zusammenstanden. Unnahbar für Eindringlinge und unwillkommene Anhänger Freuds.
Als sie auf die Straße traten, fuhr der Wind in seinen Mantel, den er noch nicht richtig angezogen hatte. Er schlang ihn notdürftig um sich. Aber sie gingen nicht weit, nur einen knappen Häuserblock, woraufhin sie auch schon die Tür zu einem kleinen Café öffnete. Sie nahmen Platz, und sie bestellte für sie beide je eine Tasse Kaffee und ein kleines Teilchen, obwohl er für diese Kombination noch nie sonderlich geschwärmt hatte. Sie hingegen schien alles Süße zu lieben und schaffte es, sich das komplette Gebäckstück einzuverleiben, bevor er auch nur den ersten Bissen zu sich genommen hatte.
»Liebster Poul! Es wird ein unglücklicher Abschied werden, das spüre ich schon jetzt.«
»Wieso Abschied, das klingt so … endgültig?«
»Aber du und ich, wir wissen doch beide, dass wir uns nicht mehr sehen können.«
»Wir haben doch nichts zu verbergen?«
Er sah sie mit einer Miene seufzen und den Kopf schütteln, die besagte, dass es ihr niemals gelingen würde, es ihm verständlich zu machen. Sie lächelte breit, fast überwältigend, woraufhin ihm schlagartig klar wurde, dass sie tatsächlich von einem Abschied sprach. Sie wollte sich nicht mehr mit ihm treffen. Nie mehr.
»Ist es der Dichter?«, sagte er und stellte die Tasse ab.
Obwohl er sich wirklich große Mühe gab, konnte er doch nicht vermeiden, dass die Tasse auf der Untertasse klirrte. Wenn es ein Geräusch gab, das er verabscheute, dann war es Porzellan gegen Porzellan.
»Der Dichter?«
Sie lachte laut, und mehrere Cafébesucher an den umstehenden Tischen drehten sich zu ihnen um, was sie nicht im
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