Ein unversoehnliches Herz
gefesselt, gefangen in eurem Leben und eurem Schaffen, auf der Jagd nach einem Übergang, nach einer Brücke, die eher zur Welt als zu einem Zuhause führt. Ich finde es ehrlich gesagt einigermaßen rührend, wenn ich an euch beide denke. Außerdem seid ihr hoffnungslos miserable Liebhaber. Das kränkt dich doch hoffentlich nicht, Liebster?«
Er hatte große Lust, sich vorzubeugen und ihr zu sagen, dass er jetzt gehen wolle, jetzt sofort, zusammen mit ihr, um im erstbesten billigen Hotel abzusteigen, sie auszuziehen und mit ihr zu schlafen, sie zu penetrieren, sich zum Herren über sie aufzuschwingen, ihre augenscheinliche Sinnlichkeit zu befriedigen.
»Ich verstehe«, erklärte er zögernd. »Interessant, gewiss. Aber ich muss gestehen, dass ich mehrere Einwände habe. Nicht nur, weil du dich in Details verlierst.«
»Selbstverständlich«, sagte sie.
»Selbstverständlich«, sagte er.
Sie lächelte breit.
»Alles andere hätte mich auch sehr gewundert«, sagte sie und breitete majestätisch die Arme aus, als wollte sie die ganze Welt einfangen oder zumindest die paar Menschen, die in dem verrauchten Café saßen. »Du kennst mich doch. Der Liebe weiche ich niemals aus.«
Dann verhärtete sich ihr Gesicht.
»Es gibt etwas, worum ich dich bitten möchte, ehe wir heute auseinandergehen.«
Poul fiel auf, dass ihre Augenbrauen sich plötzlich runzelten und ihr Mund einen gespannten Zug bekam. Er legte die Kuchengabel ab und wartete darauf, dass sie weitersprach.
»Ich möchte dich bitten, meine Briefe zu verbrennen. Deine habe ich bereits verbrannt, nur dass du es weißt. Ich verwische gewisse Spuren, mehr steckt nicht dahinter.«
Poul nickte und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab.
»Wenn das so ist, verspreche ich dir, sie zu vernichten, sobald ich zu Hause bin.«
»Gut.«
Poul nickte erneut und glaubte nun zu durchschauen, welche Absicht sie mit dieser Begegnung verfolgte. Er sollte aus ihrem Leben getilgt, sollte ausradiert werden, so einfach war das. Er hatte sie Freud, ja der ganzen Bewegung vorgestellt. Inzwischen gehörte sie ganz selbstverständlich dazu, war sogar eine der führenden Vertreterinnen. Aber wenn es jemals etwas anderes zwischen ihnen gegeben hatte, so war es nun entweder vorbei oder hatte niemals existiert und war bloß etwas gewesen, das er sich eingebildet hatte.
Ihr Abschied entbehrte jeglicher Dramatik. Vor der Tür des Cafés trennten sie sich. Er kehrte zum Kongress zurück, sie ging zu einer weiteren Verabredung. Sie erzählte ihm nicht, mit wem sie sich treffen wollte. Vielleicht, überlegte er, reihte sie am letzten Tag des Kongresses Abschiede aneinander. Man konnte nie wissen, und er gab sich alle Mühe, nicht zu viel darüber nachzudenken. Sie hatte ihn abserviert wie viele andere vor ihm auch.
Sie küssten sich auf die Wange. Er hatte von dieser französischen Sitte zur Begrüßung und zum Abschied noch nie viel gehalten. Bei Lou war sie jedoch zu einem Ritual geworden. Viermal, zweimal auf jede Wange, so wie sie es in den feineren Kreisen von Paris hielten.
Kurz bevor sie in ihre Richtung davonging, sagte sie:
»Du hast so ein nettes Gesicht.«
Sie streichelte seine Wange mit dem Handrücken, ehe sie fortfuhr:
»Grüß deine liebe Gunhild von mir, sie tut mir wirklich leid.«
Anschließend nahm sie die Hand fort, schob sie in einen Handschuh und eilte auf die ihr eigene, trippelnde Art davon.
Poul blieb einige Sekunden stehen, ehe er sich in seine Richtung in Bewegung setzte. Wenige Schritte später drehte er sich noch einmal um. Obwohl er dagegen ankämpfte, musste er einfach stehen bleiben und herumfahren, um einen letzten Blick auf sie zu erhaschen.
Ganz kurz sah er noch ihren Rücken, ehe sie um die Straßenecke bog. Der lange, flatternde Schal, war das Letzte, was er von ihr wahrnahm.
Der Kongress wurde ohne weitere Malheurs beendet. Die Spaltung war eine Tatsache, und sämtliche Teilnehmer hatten bereits Stellung zu ihr nehmen können. Einige beschlossen, auf der Stelle heimzufahren, andere, kleinere Gruppen, wollten weiter konspirieren. Poul entschloss sich nach einigem Grübeln, am offiziellen Abschlussbankett teilzunehmen.
Das Essen war rasch abgehakt, ein fades und sehniges Schnitzel, halbherzig plattgeklopft und paniert, ein in Essig ertränkter Kartoffelsalat mit Erbsen und Möhren, serviert mit einem wässrigen Rotwein. Im Anschluss kam die Diskussion in Schwung. Die verschiedenen Programmpunkte des Kongresses wurden zunächst höflich,
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