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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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Mindesten zu stören schien. Sie lehnte sich vor und flüsterte verschwörerisch:
    »Meinst du René Karl Wilhelm Johann Josef Maria?«
    Sie lachte noch lauter, ein richtiges Pferdelachen, wiehernd, den Kopf in den Nacken gelegt.
    »Wenn du so misstrauisch bist, würde ich dich am liebsten umarmen. Rilke! Was hat denn der hiermit zu tun?«
    »Du hast ihn zum Zug begleitet.«
    »Nein, habe ich nicht. Aber ich habe einen anderen Mann begleitet, jemanden, den du nicht kennst. Er ist sehr jung und stark, vielversprechend, er wird es weit bringen. Wahrscheinlich weiter als du und ich. Außerdem wird er ein ausgezeichneter Liebhaber werden. Ihn habe ich zum Zug begleitet, statt mir deinen Vortrag anzuhören. Dafür habe ich mich schon entschuldigt, aber du solltest eigentlich wissen, dass mich deine Vorträge nicht interessieren.«
    Er wartete darauf, dass sie genau wie die Vorträge anderer hinzufügen würde. Aber sie blieb stumm. Vielleicht war sie nur an seinem Vortrag nicht interessiert gewesen, oder sie hatte eine boshafte Bemerkung machen wollen. Es war aber auch möglich, dass ihr die Worte einfach so in den Sinn gekommen waren.
    Auf ihre unnachahmliche, russisch klingende Art sprach sie stets aus, was ihr gerade durch den Kopf ging. Niemals etwas Durchdachtes oder Berechnendes.
    Dafür, überlegte Poul, muss man sie trotz allem lieben. Das hatte er schon immer so gesehen. So weit von Gunhild entfernt, wie man es sich überhaupt vorstellen konnte. Nichts an ihr strahlte Ruhe und Gelassenheit aus. Und sie war immer in der Lage, ihre Kritiker dadurch zu verblüffen, dass sie trotz ihrer Rastlosigkeit weiter kam als all jene, die stundenlang nachzudenken schienen, ehe sie sich zu Wort meldeten. In erstaunlich kurzer Zeit hatte sie, eine Autodidaktin, sich als eine führende Vertreterin der Seelenheilkunst etabliert.
    Oder Avantgardistin , wie sie selbst es sicherlich ausgedrückt hätte. Für sie ist nichts unmöglich, dachte Poul. Außerdem hatte sie auf ihre unvergleichliche Art Kontakte zu allen wichtigen Personen, nicht zuletzt Freud, der ihr immer das Wort erteilte.
    In Poul löste sie jedoch widersprüchliche Gefühle aus. Manchmal hätte er sie am liebsten vernichtet, um sie im nächsten Moment küssen zu wollen. Kein Wunder, dass sie eine große Gefolgschaft hatte und alle dazu brachte, sich in ihrer Gegenwart zu verneigen, ganz gleich, ob es sich um ihren neuen rätselhaften Liebhaber, Rilke, Freud, Nietzsche oder den Philologen Friedrich Carl Andreas handelte, mit dem sie verheiratet war. Der Mann, der ihr immer am Rockzipfel hing, eine Pfeife im Mund und stets schweigend – es sei denn, der Gesprächsgegenstand waren althochdeutsche Verben oder orientalische Sprachen.
    Er hat ein so freundliches Gesicht , pflegte sie ihren Gatten zu beschreiben. Sie nannte ihn häufig Alterchen . Er seinerseits nannte sie gelegentlich Töchting .
    Jeder bettelte um ihre Aufmerksamkeit und um erotische Blicke.
    Jeder wurde betrogen und verlassen.
    Und nun war also Poul an der Reihe, verlassen zu werden.
    Am meisten wunderte ihn, dass ihn dies völlig unvorbereitet traf. Wie konnte er nur so dumm sein? Es war ihm unbegreiflich. Wie ein schmachtender Jüngling, wo er doch ganz andere, wichtigere Dinge zu tun hatte. Gerade jetzt, da die ganze Bewegung wankte, mussten große Fragen erörtert werden. Stattdessen saß er mit Lou Salomé zusammen und benahm sich wie ein Schuljunge. Wie peinlich!
    »Obwohl«, sagte sie, »jetzt, wo du es sagst, gibt es natürlich gewisse Ähnlichkeiten zwischen dir und Rilke.«
    Er erstarrte mit dem Teilchen vor dem aufgerissenen Mund. Aber sie war nicht mehr zu bremsen. Sie hatte diesen charakteristischen Gesichtsausdruck wie immer, wenn sie laut dachte: der gespitzte Mund, Augen, die beim Sprechen durch den Raum schweiften, Hände, die sich vor ihrem Gesicht bewegten, als spielte sie in der Luft Klavier, immer wieder die gleichen zwei Töne, als schlüge sie einen kleinen Triller an.
    »Ja, genau, dass ich daran nicht gedacht habe«, fuhr sie fort. »Rilke als kränkelnder Aristokrat und du als überheblicher Emporkömmling mit deiner Mischung aus Brutalität und Banalität. Es stimmt doch, Poul, dass du gerne als Erlöser gesehen werden möchtest, nicht wahr? Aber deine Art, dich stets in den Vordergrund zu schieben, drängt einem natürlich die Frage auf, wen du erlösen willst. Deine Mitmenschen oder dich selbst. Im Grunde seid ihr beide Zwangsneurotiker, beide an Fixierungen und Vorwürfe

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