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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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dann hitzig und immer streitlüsterner debattiert.
    Pouls Vortrag gehörte zu den meistdiskutierten, und einige Teilnehmer meinten, seine Analyse sei nicht nur korrekt, sondern auch ein interessanter Schritt in die richtige Richtung, hin zu einer Therapie statt bloßer Analyse. Das schmeichelte ihm, auch wenn er sehr darauf achtete, seine Gefühle zu verbergen, um nicht wie ein Anfänger zu wirken.
    Er selbst war von seiner Sache überzeugt. Seine neue Theorie unter dem Arbeitsnamen Psychosynthese hatte große Chancen, zu einer bahnbrechenden Errungenschaft zu werden. Ja, avantgardistisch . Vielleicht würde er in ein paar Jahren sogar die ganze Bewegung anführen, alles war möglich!
    Er bekam Lust, detaillierter auf seine neuen Theorien einzugehen, aber im selben Moment nahm die Diskussion eine neue Wendung und verlagerte sich an das andere Ende des Tisches. Er versuchte es noch einmal, diesmal mit kräftigerer Stimme, sah aber nur Nacken und Gesichter im Profil. Er musste sich vorbeugen, um zu sehen, was da vor sich ging.
    Es war Freud, natürlich – der bis zu diesem Augenblick geschwiegen und sich den Bart gekrault hatte, ohne zu enthüllen, ob er der Diskussion gefolgt war oder nicht. Er sprach langsam und unterbrach seinen langen Monolog nur, um Rauch auszustoßen oder seine Brille zu putzen.
    Da Poul am anderen Ende des Tisches saß, hatte er Mühe zu hören, was Freud sagte. Es half nicht einmal, dass er sich so weit wie möglich vorbeugte. Schließlich gab er auf und bestellte bei einer vorbeieilenden Kellnerin eine Tasse Tee.
    Plötzlich wurde er von dem Gefühl übermannt, dass alles ein Misserfolg war. Er hätte es längst begreifen müssen. Trotzdem traf es ihn völlig unerwartet. Ehe Poul wusste, wie ihm geschah, war die Gesellschaft im Aufbruch begriffen. Hände wurden geschüttelt, und Abschied wurde genommen. Als er seinen Mantel anzog und den Hut in der Hand hielt – wobei er einigen anderen zuwinkte, an deren Namen er sich nicht mehr erinnerte –, kam Freud auf ihn zu und gab ihm die Hand.
    Er kam augenblicklich zur Sache.
    »Ein denkwürdiger Vortrag, Doktor Bjerre.«
    »Danke, Herr Professor.«
    Poul spürte, wie seine Wangen rot anliefen.
    »Das Problem ist nur«, fuhr Freud fort, »dass er nicht das Geringste mit Psychoanalyse zu tun hat. Aber dessen sind Sie sich natürlich bewusst, nicht wahr?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Da ich den Begriff geprägt habe, steht es in meiner Macht zu bestimmen, wofür er steht.«
    »Und für meinen Vortrag steht er nicht?«
    »Exakt.«
    »Aber ich habe ausschließlich psychoanalytische Forschungsergebnisse benutzt. Ich habe es als Aufgabe aufgefasst, diese auf dem Kongress vorzulegen.«
    »Dann haben Sie etwas falsch verstanden, Doktor Bjerre. Aber da sind Sie nicht der Einzige, bei weitem nicht. Jugendlichen Übereifer finde ich rührend. Als Forschung uninteressant, als Phänomen rührend.«
    Freud warf einen Blick auf seine Uhr, hauchte mehrmals auf das Glas und wischte es mit knappen Bewegungen eines Brillenputztuchs sauber. Er lächelte und verabschiedete sich von jemandem, der hinter Poul stand. Vielleicht Paul Federn, dachte Poul, der immer zum Meister eilte, wenn dieser rief. Jetzt wurde er entlassen. Poul war ein Unruheherd, mit dem Freud alleine zurechtkam.
    Poul wollte sich schon verabschieden. Er war alles andere als unberührt, gedachte jedoch nicht, sich etwas anmerken zu lassen. Dann konnte er es doch nicht lassen.
    »Ich glaube nicht«, setzte er an, »dass man allein vom naturgegebenen Triebsystem des Menschen ausgehend arbeiten kann. Es muss noch mehr geben. Ich bin überzeugt, dass die Kreativität des Menschen eine Rolle für seine Lebensbedingungen spielt.«
    »Wenn man nicht an das Triebsystem des Menschen glaubt, hat man mit der Psychoanalyse nichts zu tun«, erwiderte Freud und steckte seine Uhr in die Westentasche.
    Diesen Kommentar hatte Poul schon eine ganze Weile die Runde machen hören. So waren im Jahr zuvor Adler und Stekel mit der gleichen Begründungen abgespeist worden, die Psychoanalyse sei eine Wissenschaft, kein Okkultismus.
    Aber Poul nahm einen neuen Anlauf.
    »Verzeihen Sie, Herr Professor, aber ich habe den Eindruck, dass Sie den Kölner Dom unter Mineralogie statt unter Architektur abhandeln. Ich interessiere mich für das Bauen. Und ich glaube, dass man Menschen lieber heilen als studieren sollte.«
    Freud lächelte breit und zog mit der rechten Hand an seinem Bart. Anschließend legte er dieselbe Hand auf Pouls

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