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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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Hypnose nie eine Antwort fandest. Du weißt nur noch, wie sie einem Schattenwesen gleich an den schlimmsten Tagen deiner Krankheit, flüchtig und geisterhaft, an dir vorbeihuschte. Dagegen erinnerst du dich noch an das Gesicht des Kindermädchens, das deine verschwitzte Stirn mit feuchten Tüchern kühlte – und an meine Stimme natürlich, wenn ich im Nebenzimmer Lokomotivführer spielte.
    Mutters Abwesenheit hast du gehasst, meine Anwesenheit hast du gehasst.
    Meine Stimme beim Spielen, die du dir jederzeit vergegenwärtigen kannst. Du vermagst ihr unterschiedliche Resonanzböden zu geben und sie in verschiedene Umgebungen einzufügen. Aber sie ist da, hinter deiner Verbitterung mir gegenüber. Sie ist in allem, was du verachtest, in allem, was du niederringen und zerstören willst.
    Im Fieberwahn dachtest du damals, als kleiner Junge, der sich kürzlich aus Versehen mit einem Messer in die Hand geschnitten hatte, es wäre besser gewesen, du hättest im Wald den Tod gefunden. Dann hätten sie um dich geweint, dann wäre Mutter vor Trauer wie von Sinnen gewesen. Vielleicht wäre sie nach dem tragischen Tod ihres ältesten Sohnes nie mehr sie selbst geworden. Und ich wäre kaum mehr gewesen als eine traurige Erinnerung an all die Heldentaten, die du vollbracht hättest, wenn es dir denn vergönnt gewesen wäre, weiterzuleben.

Für eine Dame mittleren Alters mit einer erwachsenen Tochter
    wird man dies ausgesprochen unpassend finden.
    Stockholm, 10. September 1913
    Lou Salomé war alles, was Gunhild Bjerre nicht war: abenteuerlustig, aufstrebend, sexuell provozierend, selbstsicher in jeder Lebenslage. Sie rückte immer sich selbst ins Zentrum von allem, zeigte unverhohlen, wofür sie sich begeisterte, blieb in jeder Situation kompromisslos. Sie ließ niemandem den Vortritt und bediente sich großzügig, nicht zuletzt, wenn es um Männer ging.
    Eine klassische Schönheit war sie nicht, dafür war ihr Mund eindeutig zu groß, aber sie war hoch gewachsen, schön, schlank und hatte eine gute Figur. Außerdem stellte ihre unglaubliche Energie alle anderen Züge in den Schatten: Wenn sie im Raum war, wurde sie zum selbstverständlichen Mittelpunkt.
    Rilke erklärte, ohne sie hätte er niemals schreiben können, und Paul Rée verlor seine Fähigkeit zu schreiben, als sie ihn verließ. Freud nannte sie eine einzigartige Zuhörerin – und sie ihn einen Vollblutrationalisten, was er ungeheuer schmeichelhaft fand. Der junge Tausk – der ihr 1913 in München den Hof machte – beging Selbstmord, als sie ihn verließ. Und schließlich der bedauernswerte Nietzsche, der so maßlos in sie verliebt war oder zumindest in den Gedanken, maßlos in sie verliebt zu sein. Als sein Antrag abgewiesen wurde, beschuldigte er sie, ein schmutziges, übel riechendes Äffchen mit falschen Brüsten zu sein. Anschließend stürzte er sich besinnungslos in die Arbeit an Also sprach Zarathustra.
    Das immer wiederkehrende Thema in Lous Essays und Romanen ist die unbändige Kraft des Unbewussten, wodurch sie für viele zum Urbild des weiblichen Freidenkers wurde, nicht zuletzt wegen der Klarheit, mit der sie beschrieb, dass jeder Mensch seiner eigenen Natur treu bleiben musste. Sie behauptete, die beiden Geschlechter seien diametral verschieden und könnten einander niemals vollständig begegnen – stattdessen geschehe dies auf Kosten des Mannes (ein irrlichterndes Spermium ohne Richtung). Dennoch war sie der Meinung, der Mensch sei diese zwei Gestalten und dass sich nur durch die Schwierigkeiten der beiden, einander zu verstehen, eine vollständige Einheit erreichen lasse.
    Auch Gunhild Bjerre ließ sich als eine moderne Frau bezeichnen, allerdings nur unter gewissen Voraussetzungen.
    Eins musste man jedoch sagen. Äußerlich waren sich Lou und Gunhild nicht ganz unähnlich. Auch Gunhild war groß und schlank, auch ihr Gesicht wurde von einem breiten Mund dominiert. Sie war eine nahezu jungenhafte Erscheinung mit bildschönen Gesichtszügen, vor allem die im Profil so apart wirkende schlanke Nase stach einem ins Auge. Sie hatte jedoch ein gespaltenes Verhältnis zu ihrem Aussehen, vor allem nach dem Verlust Fredrik Posses, ihres ersten Mannes.
    Es fiel ihr schwer, das Graue und Triste abzuschütteln, das sich in Gesicht, Haare und Mienenspiel eingeschlichen hatte. Den körperlichen Veränderungen der mittleren Lebensjahre stand sie verständnislos gegenüber, erst recht, seitdem die Kinder sie immer weniger in Anspruch nahmen. Plötzlich erkannte

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