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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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gute und verständnisvolle Ehefrau.
    Gunhild saß in ihrer Wohnung in der Östermalmsgatan und klimperte zerstreut auf dem Flügel. So gut wie im Sommer und Herbst 1913 hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt, gesundheitlich ging es ihr immer besser. Sie hatte Doktor Lenmalm seit vier Monaten nicht mehr aufsuchen müssen, was für sie ein erstaunlich langer Zeitraum war.
    Trotzdem machte sie sich ständig Sorgen. Ihre Finger bewegten sich planlos über die Tasten. Sie hatte gedacht, dass sie sich konzentrieren und etwas spielen musste, Beethoven vielleicht, dem es durch seine Egozentrik oft gelang, sie auf andere Gedanken zu bringen. Aber es wollte einfach nicht gehen, und sie setzte die Finger nur willkürlich auf die Klaviatur. Anfangs hatte sie Tonleitern gesungen, ihre Stimme jedoch kaum wiedererkannt. Sie war tonlos, und es gab nichts, was sie so verabscheute wie tonlose Stimmen.
    Sie machte sich Sorgen. Womöglich würde es ihr gesundheitlich schon bald schlechter gehen und der Herbst sie mit seinem nasskalten Wetter erneut ans Bett fesseln. Dann beruhigte sie sich jedoch wieder und dachte daran, dass Poul bald aus München zurück sein würde. Es gab gar keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
    Oder etwa doch?
    Sie wusste, dass Lou an dem Kongress teilnehmen würde. Und obwohl Poul ihr geschworen hatte, dass sie kaum noch Kontakt hatten, nagte dies an Gunhild. Das überraschte sie nicht, denn sie wusste, dass sie wegen Lous provozierender Art auf der Hut sein musste. Lou war die einzige Frau, die sie im Kampf um Pouls Gunst jemals herausgefordert hatte.
    Poul hatte Gunhild damals, als sie ihm ein Ultimatum gestellt hatte, einen Brief geschrieben – es war das einzige Mal, dass sie so etwas getan hatte. Zwei Jahre war das jetzt her. Sie hatte es nicht länger ertragen, sich mit Gedanken zu quälen, die ihr allesamt einflüsterten, dass er sich heimlich mit Lou traf.
    »Am schwersten fällt es mir, darüber hinwegzukommen, dass ich Dir so weh tun musste. Es geht mir weniger um den Schmerz. Aber es will mir wie die Schändung eines Heiligtums erscheinen. Deiner Seele Klang und Deine strahlende Freude sind mir das Heiligste auf Erden. Ihr dauerhaften Schaden zugefügt zu haben, wäre für mich schlimmer als der Tod …«
    Die Schändung eines Heiligtums, so schrieb er in seinem Brief, in dem er ihr versprach, sich nie wieder mit Lou zu treffen. Seither hatte er Gunhild Hunderte von Gedichten gewidmet – und nicht nur das, tatsächlich widmete er ihr immer seine Arbeiten, auch seine bildhauerischen. Und sie hatte ihm verziehen, wie sie beide es insgeheim nicht anders erwartet hatten. Ihr war durchaus bewusst, dass eigentlich Lou das Interesse verloren hatte, nicht Poul. Aber das kümmerte sie nicht weiter, ein Wunder war geschehen, und sie war siegreich aus dem Kampf hervorgegangen.
    Für sie war es darum gegangen, zu lieben oder nicht zu lieben.
    Sie verließ ihren Platz am Flügel und marschierte ziellos im Zimmer umher. Ihr schoss so vieles durch den Kopf, was ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte. Es ärgerte sie, dass es ihr nicht gelang, die finsteren Gedanken einfach beiseitezuschieben. Aber sie bewegten sich in Gegenwart und Vergangenheit und vermischten sich so, dass Gunhild sie nicht kontrollieren konnte.
    Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit Lou. Sie hatten sich zwei Jahre zuvor, 1911, bei Ellen Key kennengelernt. Poul und sie hatten den Sommer in Norwegen verbracht, und sie hatte sich ungewöhnlich gesund gefühlt, sodass sie lange Spaziergänge machten und die klare Luft genossen. Irgendwie war es ihr so erschienen, als wären sie körperbetonter miteinander umgegangen. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie Poul ein wenig steif fand, wenn er sie in die Arme nahm, als würde er fürchten, sie könnte kaputt gehen. Sie fühlte sich dann manchmal mehr wie eine Sache denn wie eine Frau.
    Auch wenn er sich wesentlich mehr für Erotik interessiert hatte als Poul, war auch ihr erster Mann in bestimmten Situationen steif gewesen. Für beide kam an erster Stelle ihre Arbeit, Fredrik hatte seine Geschäfte und den Eisenbahnbau und Poul die Praxis und seine Bücher.
    Wollte man nach Ähnlichkeiten suchen, dachte sie, sich dabei wieder an den Flügel setzend, kam man jedoch nicht viel weiter. Ihre beiden Geliebten waren grundverschiedene Menschen. Und so verliebt sie in ihrer Jugend in Fredrik gewesen war, so verliebt war sie als erwachsene Frau in Poul.
    Aber die Reise nach Norwegen wollte

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