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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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ihr nicht aus dem Sinn, obwohl sie ein Nocturne von Chopin heraussuchte und es tatsächlich schaffte, die erste Hälfte zu spielen. Dann war abrupt Schluss. Erneut blieb sie mit dem aufgeschlagenen Notenheft und scheinbar gelähmten Fingern auf den Tasten sitzen. Im Grunde war Chopin zu schwer für sie, aber seine Melodien kamen einem Gesang so nahe, wie es nur möglich war, wenn man alleine am Flügel saß.
    Poul hatte auf ihrer Reise nach Norwegen viel gearbeitet, dennoch hatten sie genügend Zeit gefunden, Freunde zu treffen und gemeinsam durch die Natur zu streifen. Sie hatten keine Berggipfel erklommen, daran war nicht zu denken gewesen, obwohl Poul ihr den Vorschlag gemacht hatte. Er hatte nie vergessen, wie es war, als er in seiner Jugend die norwegischen Berge bestiegen hatte. Er meinte, diese Leistung habe ihn damals dazu bewegt, sich auf eine ganz andere Art als Mensch zu fühlen. Sie lächelte stets aufmunternd, wenn er das sagte, obwohl sie fand, dass er ein bisschen langweilig wurde, wenn er sich über den festen Tritt der Füße und das kameradschaftliche Schulterklopfen in den anstrengendsten Momenten ausließ.
    Die Sache war für sie nicht nachvollziehbar, ihr Körper hatte noch nie für Abenteuer getaugt. Und auch in Norwegen kränkelte er wie so oft. Auf der Heimreise verschlechterte sich ihr Zustand unversehens, und die Zugfahrt nach Schweden wurde zu einer Tortur. Trotzdem beschlossen sie, unterwegs bei Ellen Halt zu machen, wie sie es vor dem Sommer verabredet hatten. Poul wollte absagen, aber sie bestand darauf.
    Wie oft hatte sie diesen Entschluss bereut!
    Sie waren kaum angekommen, als sie auch schon mit Schüttelfrost das Bett hüten musste. Ellen versuchte das Fieber zu senken, indem sie ihr nasse Tücher auf die Stirn legte. Dabei sprach sie von einer »Frau russischer Abstammung«, die überraschend zu Besuch gekommen war.
    Das war Gunhilds erste Erinnerung an Lou. Als es ihr einige Tage später etwas besser ging, begegneten sie sich zum ersten Mal. Gunhild wurde sofort misstrauisch. Sie kam nicht umhin, die vielen spannungsgeladenen Blicke zu bemerken, die kreuz und quer über den Tisch geworfen wurden, die Mätzchen, mit denen Aufmerksamkeit erregt werden sollte, das anstößige Lachen. Sie fand Lou vulgär.
    Am meisten störte sie jedoch, dass Poul sich gab, als würde er die erotischen Avancen dieser Frau überhaupt nicht bemerken. Sie selbst fand sie so offensichtlich, dass sie sich sogar gestattete, Ellen gegenüber einen Scherz darüber zu machen.
    »Hat ihr denn keiner beigebracht, dass Männer so etwas nicht mögen? Sie wollen keine aufdringliche Frau. Nichts macht ihnen mehr Angst als Zudringlichkeit!«
    Ellen fühlte sich entweder ihrem Gast gegenüber zu Höflichkeit verpflichtet oder hatte sie nicht richtig verstanden. Jedenfalls hatte sie nur gelächelt und sich abgewandt. Das sieht Ellen aber gar nicht ähnlich, hatte Gunhild gedacht, sie hat doch sonst immer Ansichten zu allem und jedem und ist meist überhaupt nicht zu bremsen. Jetzt saß sie am Tisch und betrachtete die russischstämmige Frau, die zu Besuch war und wie ein Wasserfall redete, als säße sie in ihrem eigenen Wohnzimmer.
    Die Sache wurde nicht besser, als Gunhild erkannte, dass Poul sich gerne mit Lou davonstahl. Sie brauchte nur einmal kurz wegschauen, und schon stand er mit dieser Frau am Waldrand und sprach und zeigte auf den See hinaus. Als schlichen sie sich davon, um ungestört reden oder eine gemeinsame Flucht planen zu können. Worüber unterhalten sie sich, dachte sie, welches Gesprächsthema ist so interessant, dass es alle anderen ausschließt?
    Aber sie sagte nichts, nicht zu Poul und auch zu keinem anderen. Stattdessen wurde sie gleich noch einmal krank, und diesmal ging es ihr bedeutend schlechter als beim letzten Mal. Im Fieberwahn hatte sie schreckliche Visionen. Sie sah Poul in der Kirche stehen und auf seine Braut warten. Sie selbst näherte sich ihm im Traum und grüßte die vielen freundlichen Gesichter, Bekannte und nahe Freunde, sie lächelten so nett, als sie den Mittelgang der Kirche durchschritt. Als sie jedoch den Altar erreichte und aufblickte, war niemand da, nicht einmal der Pfarrer. Sie fuhr herum und sah, dass sich die Kirche auf einen Schlag geleert hatte. Sie war allein in der tönenden Stille. Dann vernahm sie johlende Rufe von jenseits der Tür, Hurra, Hurra, Hurra!
    Als es ihr mit viel Mühe gelang, das Kirchenportal zu öffnen – es sträubte sich, als kämpfte jemand

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