Ein unversoehnliches Herz
demütigend, hier ganz allein für sich sein zu müssen, nach einer Weile schlug dies jedoch um in ein Gefühl von Exklusivität. Sollten die sich da drüben doch drängeln, so viel sie wollten, die alten Tattergreise. Ihr Strand mochte zwar schöner und größer sein, aber diesen hatten Amelie und Madeleine dafür ganz für sich allein.
Dann waren sie wieder an Land, um sich auf einem Badehandtuch aufzuwärmen. Weg mit der Bademütze, damit Luft an die Haare kam.
»Das ist das Leben«, rief Amelie unvermittelt aus und reckte die Arme hoch, als wollte sie den ganzen italienischen Sonnenhimmel umarmen.
Wenn man die Augen schloss und ganz still in der Sonne lag, entstand bisweilen ein seltsames Lichtspiel. Es kam einem vor, als sausten kleine Punkte über die Innenseite der Lider. Amelie fand, dass es wie ein Spiel war, sie zu verfolgen und gleichzeitig den Geräuschen ringsum zu lauschen.
Sie hörte Madeleines schwere Atemzüge. Wahrscheinlich war sie mit dem aufgeschlagenen Buch auf der Brust eingenickt.
Da war das Klopfen der waschenden Frau.
Und der Verkehr, der sich immer mehr verdichtete, je später es wurde. Von fern hörte man jemanden eine immer gleiche Phrase rufen. Die Worte blieben allerdings unverständlich, vielleicht verkaufte er den Passanten Zeitungen, Süßigkeiten oder Limonade.
Autos bremsten, Pferde wieherten, Menschen riefen sich wütend, flehend, amüsiert Dinge zu. Ein Sammelsurium von Geräuschen in ihrer unmittelbaren Nähe. Dennoch lag sie auf dem Rücken und ließ sich vom wohltuenden Licht der Sonne wärmen. Noch vor kurzem, auf dem langen Fußweg, war die Hitze drückend gewesen, nun aber kühlte der Wind vom Fluss ihre nassen Schenkel und Arme.
Es ist das Paradies, dachte Amelie, und das nur einen Steinwurf vom Wirrwarr und Chaos in einer der größten Städte Europas entfernt. Hier werde ich von nun an wohnen, hier werde ich leben. Mein Leben mit Andreas ist vorbei. Es ist vorbei, vorbei, vorbei. Vorüber. Dahin.
Sie stand auf der Schwelle zu einer neuen Lebensphase und wusste nicht, was diese ihr bringen würde. Ihr ganzes Leben war auf Sand gebaut, aber dies hatte auch etwas Verlockendes. Der kleine monatliche Unterhalt würde niemals reichen, das musste sie akzeptieren. Möglicherweise musste sie ihre Träume vom Malen, Schreiben und von der Bildhauerei aufgeben. Vielleicht ist das Ganze ja ohnehin blanker Unsinn, dachte sie, es gibt so viele talentierte Menschen.
Sie würde bestimmt eine Hausfrau werden wie alle anderen auch.
Nein, zum Teufel, so durfte sie nicht denken.
Sie öffnete die Augen einen Spalt breit und sah durch die Wimpern den Fluss in einiger Entfernung wie einen Palmenhain glitzern. Dampf schien von der Wasserfläche aufzusteigen – ein unverstellter Blick ins Gelobte Land nach einer langen Wüstenwanderung.
Dann schloss sie die Augen, und für einige Sekunden wurde es vollkommen schwarz, bis kurz darauf wieder Punkte auf der Innenseite der Lider hin und her schossen.
Angesichts der Hitze war es schon bald Zeit für ein neues Bad. Die Sonne stand mittlerweile im Zenit. Diesmal zögerten Amelie und Madeleine nicht, sondern liefen geradewegs hinein. Sie bespritzten sich mit Wasser und gaben nichts darauf, dass die waschende Frau wegen ihres kindischen Benehmens die Nase rümpfte. In der Ferne auf der anderen Seite hörte man die Stimmen der Männer erstaunlich klar. Sie schienen nur ein paar Meter entfernt zu sein, obwohl man kaum mehr als ihre Konturen erkennen konnte.
»Vater hat immer gesagt, dass ich eine Meerjungfrau bin«, meinte Amelie und tauchte den Kopf unter Wasser.
»In meiner Familie durfte man dem Wasser nie zu nahe kommen«, sagte Madeleine, als Amelie wieder aufgetaucht war und sich das Wasser aus den Ohren geschüttelt hatte. »Ich glaube, es lag daran, dass sie dachten, man könnte nicht schwimmen. Man durfte mit dem Boot fahren, aber nicht über Bord gehen.«
Sie schwammen einen Zug. Amelie tauchte unter dem Seil hindurch, das markierte, bis wo man stehen konnte. Madeleine folgte ihrem Beispiel. Sie tauchten und schwammen noch ein Stück weiter hinaus. Nicht eine Wolke stand am Himmel. In ein paar Stunden würde es kühler werden und die Stadt nach Siesta und ausgedehntem Mittagessen so richtig in Schwung kommen. Das Leben verlief hier in einem ganz anderen Tempo als in Schweden. Für Stunden schloss sich jeder Fensterladen, und es wurde ruhig und still – bis gegen Abend alles in zahllosen Farben und hitzigen Wortwechseln
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