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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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zum Büro trottest, um zu arbeiten, wirst du zu Gunhild hineingehen. Wenn du vorher nur genügend Kraft dafür schöpfen könntest. Du atmest tief durch und spürst, wie deine Brust sich hebt.
    Du stehst auf und kehrst zum Schlafzimmer zurück. Seit du weißt, was du tun musst, fallen dir deine Schritte leichter. Du musst dich anziehen, kämmen, waschen. Du musst der Mensch werden, den alle erwarten, den sie als Doktor Poul Bjerre wiedererkennen. Es gibt viele, die sich auf dich verlassen, und du hast nicht vor, sie ausgerechnet jetzt zu enttäuschen, da sie dich am meisten brauchen.
    Du redest dir ein, dass sich die Ereignisse vom Vortag erledigt haben. Madeleines Angriffe und Anschuldigungen sind zu Wunden geworden, die bereits langsam verheilen. Jede Wunde heilt mit der Zeit, so etwas hast du immer im Griff gehabt. Geronnenes Blut und Wundschorf mögen brennen und jucken, verschwinden aber am Ende. Zurück bleibt schlimmstenfalls eine Narbe. Denn wenn die Haut, dieses fantastische Organ, verheilt und sich schließt, kann nur noch die Erinnerung brennen. Die Haut vergisst und kann sich selber heilen.
    Du wirst dich jetzt anziehen und zusammenreißen und wieder du selbst werden.
    Poul Bjerre hat zu arbeiten.

Warum sollte es für ein Kamel leichter sein,
durch ein Nadelöhr zu gehen,
als für einen Reichen, ins Reich Gottes zu kommen?
    Göteborg, 10. Dezember 1913
    Die Sonne schien und wärmte Andreas, der an die Hausecke gelehnt stand. Er blickte die Wasagatan hinab und sah flanierende Paare Arm in Arm, rennende Kinder und Leute, die sich beeilten, vermutlich weil sie zu spät zu ihren Verabredungen und Unternehmungen kamen.
    Sie waren ihm eigentümlich fremd.
    Als er noch in Göteborg lebte, war er diese Straße Tausende Male auf und ab gegangen. Nun aber erschien sie ihm fern, obwohl sie noch aussah, wie er sie in Erinnerung hatte. Das Ganze kam ihm vor wie ein abgeschlossenes Kapitel seines Lebens.
    Er entsann sich eines Gesprächs, das er vor vielen Jahren mit seinem Vater geführt hatte. Es war eine resignierte Unterhaltung darüber gewesen, dass keines seiner Kinder die Firma übernehmen wollte. Die Töchter waren verheiratet und weggezogen, Poul studierte in Stockholm Medizin, und inzwischen hatte sein Vater zudem erkannt, dass auch Andreas andere Pläne hatte, als Geschäftsmann zu werden. Andreas konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, wie anders sich sein Leben wohl entwickelt hätte, wenn er geschäftstüchtig gewesen wäre. Ihm wäre alles auf einem silbernen Tablett präsentiert worden, das Unternehmen wartete nur auf ihn. Aber es ging nicht – er verfügte über keine einzige Eigenschaft, die ihn für diesen Beruf prädestiniert hätte.
    Er war mit einem silbernen Löffel im Mund geboren worden. Es gab keine Redewendung, die er mehr verabscheute. Allerdings dachte er auch daran, dass sein Vater, Sören Bjerre, unter den denkbar schlimmsten Bedingungen aufgewachsen war und ein riesiges Imperium aufgebaut hatte. Sören war ein typischer Selfmademan und hatte seine harte Kindheit auf einem Bauernhof in Dänemark nie vergessen. Die Familie, die aus Store Bjerre in der Nähe von Holstebro stammte, bestand aus Schnapsbrennern und betrieb einige Mühlen im nördlichen Seeland.
    Da die Geschäfte der Familie recht gut liefen, gab es eine gewisse finanzielle Absicherung. Jedem der Söhne wurde eine Aufgabe übertragen: Einer sollte Pfarrer werden, die anderen sollten jeder einen eigenen Hof bewirtschaften. Sörens Vater hatte sich in geschäftlichen Dingen jedoch als völlig unfähig erwiesen. Er verkaufte seinen Hof, um die Mühle Kristiansmölle zu erwerben, deren Lage auf einem hohen Hügel Transporte dorthin schwierig machte. Außerdem war er ein gewalttätiger Mann, der seine Kinder und Angestellten schlug und als faul und lahm beschimpfte. Ganz gleich, wie sehr sich Sören auf dem Hof auch abrackerte, jeden Morgen wurde er mit einer Peitsche von seinem Vater geweckt, der ihn aus dem Bett jagte.
    Später erklärte Sören, sein Vater habe es offenbar genossen, ihn zu schlagen. Seine gesamte Kindheit kreiste um die Misshandlungen, und eine seiner wenigen positiven Erinnerungen hatte er an den Tag, an dem es ihm gelungen war, seinen Vater zu überlisten, indem er sich hinter der Tür versteckte.
    Das blieb jedoch eine Ausnahme. Er entkam nur selten, und wenn er Prügel bezog, fauchte sein Vater jedesmal, er werde Sören schon die Faulheit aus dem Leib prügeln. Stinkfaul sei er und ein Nichtsnutz. So

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