Ein unversoehnliches Herz
nichts. Ich habe nur einen leichten Anflug von Grippe, nichts Ernstes.«
»Soll ich uns etwas Wasser bringen lassen?«
»Nein, das wird nicht notwendig sein. Aber ich muss Sie vielleicht bitten, zu einem anderen Zeitpunkt wiederkommen zu dürfen … Wäre es eventuell möglich, dass ich mich noch einmal mit Ihnen treffe, um das Programm abzuschließen?«
»Selbstverständlich. Sie müssen auf der Stelle nach Hause gehen und das Bett hüten. Es könnte auch ein Magengeschwür sein, damit ist nicht zu spaßen.«
»Danke. Das ist sehr freundlich von Ihnen.«
»Da wäre nur noch eins«, erklärte Almquist und stand erneut auf.
»Ja?«
»Wir haben hier diese Dinge.«
Er bückte sich, hob zwei schuhkartongroße Pakete an und stellte sie auf den Schreibtisch.
»Das sind Bernt Gunnarssons Sachen«, sagte er und streckte die Arme aus.
»Ich nehme an, man wird sie seiner Familie schicken?«
»Das ist es ja gerade«, seufzte Almquist. »Sie wollen seine Sachen nicht haben. Sie weigern sich, sie anzunehmen. Deshalb frage ich mich, ob Sie seine Habe möglicherweise mitnehmen wollen, Bjerre.«
»Ich?«
»Ja, Sie waren der Einzige, der Gunnarsson in seiner Zeit hier besucht hat. Natürlich nur, wenn Sie die Sachen haben wollen. Ansonsten werde ich sie verbrennen lassen.«
»Ich verstehe. Dann werden sie also verbrannt? Tja, wenn das so ist …«
Andreas blieb einen Moment stehen, ehe er das eine Paket öffnete und ein Portemonnaie, eine Uhr, zwei Stifte und mehrere Bögen Papier erblickte. Wahrscheinlich die Briefe seiner Mutter, dachte er, aber als er genauer hinsah, erkannte er, dass es Briefe waren, die Bernt mit seiner plumpen Handschrift an seine Mutter geschrieben hatte.
Briefe, die niemals abgeschickt worden waren.
Für Mutter stand zuoberst auf jedem Brief.
Andreas hielt sie in der Hand, ließ sie dann jedoch fallen, sodass sie raschelnd in den Karton zurückfielen.
Erneut stach es brennend in seinem Magen, und er musste sich setzen. Er versuchte kontrolliert zu atmen und war sich nicht sicher, ob Almquist etwas bemerkt hatte oder nicht. Er wagte es nicht aufzusehen. Ihm brach der Schweiß aus, und er zog ein Taschentuch heraus und wischte sich hastig die Stirn ab.
Er wusste, dass er diese Kartons nicht annehmen konnte, das war völlig unmöglich. Auf einmal hatte er das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wer Bernt Gunnarsson war. Nach all ihren Gesprächen! Er versuchte, sich sein Gesicht vorzustellen, aber es war gleichsam ausgelöscht; es war nur eine weiße Haut, ein dünner, durchsichtiger Belag. Er konnte es nicht, konnte es nicht , so verzweifelt er es auch versuchte.
Er überquerte die Brücke, ging am südlichen Mälarufer entlang und nahm die Durchfahrt nach Slussen, die man erst kürzlich durch Felssprengungen und Aufschüttungen geöffnet hatte. Noch vor wenigen Jahren hatte nur ein schmaler Streifen festen Untergrunds die steilen Felswände vom Wasser der Riddarfjärden getrennt. Er ging mit gesenktem Kopf, nicht drahtig wie noch vor einer Stunde, als ihm alles so sicher und hinreißend erschienen war, als erwartete ihn etwas Wichtiges, ein Durchbruch nach der harten Arbeit am Vorwort.
Nun schienen sich die Masten der Schiffe feindselig über ihn zu neigen, als versuchten sie ihn zu zwingen, auf eine ganz bestimmte Art zu gehen. Es ruckte und zerrte an den Vertäuungen, die aufschrien, die Schiffe wurden gegen den Kai geschoben und stießen gegen die Steinblöcke, der Wind fuhr in die Segel, die laut und schadenfroh schlugen.
Er konzentrierte sich, schaute zu Boden, auf seine Füße, zwang sie, sich vorwärts zu bewegen und achtete darauf, nicht an den Schmerz zu denken, der bei jedem neuen Schritt aufblitzte.
Die ganze Arbeit umsonst, dachte er. Im Grunde hatte er es natürlich immer gewusst. Das Ganze war von Anfang an falsch gewesen. Seine gesamte Forschung war von Grund auf falsch.
Er spürte den Alkohol, der sich in seinem Magen festgebissen hatte, und musste sauer aufstoßen. Ich habe es immer gewusst, dachte er, immer, immer .
Dann blieb er plötzlich stehen. Ohne aufzublicken, hielt er inne. Er überlegte eine Weile, dann hatte er sich entschieden. Die Lage war unhaltbar, und er war gezwungen – hatte keine andere Wahl –, musste den Schmerz einfach betäuben.
Feuer soll man mit Feuer bekämpfen.
Neben der Münchenbrauerei betrat er eine regelrechte Spelunke, schaute sich in dem Lokal um und entschied sich für einen Tisch in der hintersten Ecke. An einigen Tischen ertönten
Weitere Kostenlose Bücher