Ein unversoehnliches Herz
Kontroversen auf der Basis von Lotten von Kræmers Testament gegründet worden war, das man Anfang 1913 veröffentlicht hatte. Darin wurde bereits der erste Vorstand der Gesellschaft vorgeschlagen, dem unter anderem Selma Lagerlöf, Karl Wåhlin, Ellen Key, Kerstin Hård af Segerstad und John Landquist angehören sollten. Den Posten des Vorsitzenden sollten abwechselnd ein Mann und eine Frau übernehmen, als erste Wahl wurde der Maler und Kunstsammler Prinz Eugen vorgeschlagen, der jedoch ablehnte. Als Nächstes hatte man Viktor Almquist angesprochen.
Ansonsten war er einer breiten Öffentlichkeit vor allem als einer der Pioniere innerhalb des schwedischen Strafvollzugwesens bekannt. So war er eine der treibenden Kräfte zu einem großen Kongress in Stockholm 1910 gewesen, in dem es um öffentliche und individuelle Versuche gegangen war, entlassene Straftäter, Landstreicher, Alkoholiker und Prostituierte zu unterstützen.
Andreas ging zu Almquist, der sich von seinem Stuhl erhoben hatte, um ihm auf halbem Weg entgegenzukommen. Er war wie immer elegant gekleidet, trug einen hohen, gestärkten Kragen und eine moderne Krawatte.
Almquist betrachtete ihn mit seinen blinzelnden Augen.
»Nehmen Sie Platz, Bjerre.«
»Danke, es ist sehr freundlich von Ihnen, mich zu empfangen.«
»Sie sind mir immer herzlich willkommen«, erwiderte Almquist und setzte sich hinter den Schreibtisch. »Wie Sie wissen, habe ich Ihr Programm von Anfang an unterstützt.«
Er füllte zwei Gläser mit Cognac, was Andreas überraschte. Er hätte Almquist eher für einen Antialkoholiker gehalten. Er versuchte den Generaldirektor zu stoppen, zögerte jedoch zu lange.
Er lächelte schief und hob das Glas, um anzustoßen. Das Getränk wärmte oder vielmehr brannte auf seinem Weg in den Körper.
»Traurig, was da passiert ist«, meinte Almquist und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
Andreas war völlig verwirrt. Er stellte das Glas ab und beschloss zu tun, als hätte er die Worte nicht gehört.
Stattdessen sagte er:
»Wie Sie wissen, möchte ich heute zwei Dinge ansprechen. Zum einen möchte ich mich für Ihre Unterstützung bedanken und zum anderen über etwas sprechen, was den Gefangenen Bernt Gunnarsson betrifft, einen der Insassen, die Eingang in meine Studie gefunden haben.«
»Genau«, sagte Almquist und kippte den Stuhl nach vorn. »Deshalb ist es ja so verdammt traurig, was Gunnarsson getan hat. Er hat sich doch so darauf gefreut, Ihr Buch zu lesen. Wenn ich es recht sehe, hat er die meiste Zeit gelesen.«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen.«
»Ja, haben Sie es denn nicht gehört? Hat man Sie nicht darüber unterrichtet, was vorgefallen ist?«
»Nein, hier muss ein Missverständnis vorliegen.«
Almquist seufzte schwer und schaute sich um, als wollte er sich bei jemandem beschweren, weil eine Information nicht weitergegeben worden war. Er lehnte sich vor.
»Gunnarsson hat sich letzten Donnerstag erhängt. Als die Wärter am Morgen seine Zelle öffneten, hatte er sich an einer Schärpe erhängt.«
Er hat … sich erhängt? Andreas konnte es nicht fassen. Warum, dachte er, das entbehrt doch jeder Logik … warum hat er sich erhängt?
Konnte sich Gunnarsson überhaupt vorstellen , so etwas zu tun? Nie hatte er etwas in diese Richtung angedeutet, im Gegenteil, er hatte doch dauernd von seiner Begnadigung geredet. Alles andere war vollkommen nebensächlich gewesen.
»Sie wirken verblüfft, Bjerre.«
»Das passt so gar nicht zu dem Bild, das ich mir von Gunnarsson gemacht habe. Soweit ich weiß, hat er nie darüber nachgedacht, sich das Leben zu nehmen.«
»Sieh an«, sagte Almquist und trank einen Schluck. »Zuweilen muss man leider erkennen, dass manche hier nicht die Menschen sind, für die man sie gehalten hat.«
»Aber ist denn etwas vorgefallen? Ist er … regelmäßig schikaniert worden, zum Beispiel von einem anderen Gefangenen? Oder einem Angestellten?«
»Nein, nein, nichts dergleichen.«
Urplötzlich war es, als hätte jemand einen Stift genommen und alles durchgestrichen, was Andreas über seine Gespräche mit Gunnarsson geschrieben hatte. Er fühlte sich, als hätte ihn jemand geschlagen, einen Strich über seine ganze Forschung gezogen, sie vom Erdboden getilgt.
Das passt überhaupt nicht zu ihm!
Ihm wurde schwindlig, und er spürte den Alkohol in seinem Magen brennen. Es war wie ein scharrender Schmerz. Er verzog das Gesicht.
»Stimmt was nicht, Bjerre? Sie sind ja ganz blass.«
»Nein, es ist
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