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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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er begegnete, spürte den Wind und dass seine Nasenlöcher den Teergeruch der Schiffe am Kai regelrecht einsogen. Jeder seiner Sinne schien geschärft zu sein, als könnte alles Mögliche passieren, das ihm für seine Arbeit nützlich sein würde. Die letzten Wochen waren ein Wechselbad der Gefühle gewesen und hatten ihn sehr mitgenommen.
    Die Konfrontation mit seinem Vater auf dem Totenbett und die Beerdigung auf dem neuen Friedhof von Göteborg am 27. Dezember. Trotzdem war er aus all dem gestärkt hervorgegangen. Er wusste nicht, wie das möglich war. Nie zuvor hatte er Madeleine so sehr geliebt wie in den letzten Wochen, nie zuvor war er sich der Liebe seines Vaters so sicher gewesen.
    Obwohl er es kaum ertragen konnte, wie sehr er seinen Vater vermisste. Jede Nacht sah Andreas vor dem Einschlafen sein Gesicht vor sich. Ihr Abschied voneinander hätte nicht schöner sein können. Als er an diesem kalten Januartag Richtung Långholmen spazierte, spiegelte sich das in jedem seiner Schritte wider. Aber es gab noch etwas, das ihn mit Gewissheit erfüllte. Er wusste , dass seine Forschung bahnbrechend war, denn niemand hatte vor ihm Häftlinge, die man zu langjährigen Haftstrafen verurteilt hatte, in dieser Weise studiert. Es war durchaus denkbar, dass seine Fallstudien zu umfassenden Reformen führen würden. Sein Freund Karl Schlyter hatte ihm gesagt, wenn er das Buch vollende, werde er schon dafür sorgen, dass es in die Hände der Reformer in der Regierung gelangte.
    Er dachte an Bernt Gunnarsson, den er immer als einen der tragischsten Fälle betrachtet hatte. Seine augenfällige Schwäche und sein Mangel an Selbstvertrauen hatten dazu geführt, dass er eine unschuldige junge Frau bestialisch ermordete, deren einziges Verbrechen darin bestanden hatte, sich in ihn verliebt zu haben. Neben ihrer Leiche hinterlegte er anschließend einen Abschiedsbrief, den er selbst verfasst hatte. Die Zeitungen irrten sich folglich nicht, als sie den Mord besonders kaltblütig und durchtrieben nannten.
    Kurz bevor er ihr mit dem Messer die Kehle durchschnitt, hatte er sogar noch mit der Frau geschlafen – ja, schlimmer: Nach dem Mord hatte er onaniert und seinen Samen auf ihr verspritzt.
    Es fiel einem schwer, dieses Verbrechen zu verstehen, wenn man den kleinen, sich zusammenkauernden Jungen im Besuchszimmer sah.
    Das heutige Gespräch auf Långholmen, das fünfzehnte, sollte Andreas’ letztes Gespräch mit Gunnarsson sein.
    Andreas erreichte das Gefängnistor, wo ihn ein Wärter begrüßte und ihm sofort öffnete. Die Angestellten kannten ihn seit langem. Ein anderer Wärter übernahm hinter dem Tor und führte ihn zum Büro des Generaldirektors. Der Wärter grüßte militärisch und entfernte sich. Stattdessen meldete sich der Sekretär zu Wort.
    »Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr Bjerre, der Herr Generaldirektor wird Sie gleich empfangen.«
    »Vielen Dank.«
    Er setzte sich in einen von zwei Sesseln. Es herrschte tiefe Stille, und das einzige Licht kam von dem kleinen Fenster, durch das er nur einen kleinen Ausschnitt vom Himmel sehen konnte.
    »Traurig, was da passiert ist«, sagte der Sekretär unvermittelt und ohne aufzublicken.
    Andreas wusste nicht, was er sagen sollte. Er begriff nicht. Was war denn so traurig? Ging es um Gunnarsson? Wusste der Sekretär darüber wirklich Bescheid? Oder wollte er ihm nach dem Tod seines Vaters das Beileid aussprechen? Davon konnte er aber eigentlich gar nicht wissen, oder etwa doch?
    Andreas wollte gerade fragen, was er gemeint hatte, als der Sekretär aufstand.
    »So, der Herr Generaldirektor wird Sie jetzt empfangen. Darf ich Ihnen Hut und Mantel abnehmen?«
    »Danke«, erwiderte Andreas und gab dem Mann die Kleidungsstücke. Anschließend blieb er, durch den Kommentar des Sekretärs immer noch verunsichert, für einen Moment regungslos stehen. Schließlich beschloss er, unverzüglich in das Zimmer des Generaldirektors zu gehen.
    »Doktor Bjerre, schön, Sie zu sehen!«, wurde er empfangen, als er den Raum betrat.
    Viktor Almquist war Generaldirektor und Leiter der Königlichen Gefängnisverwaltung, deren Büros im Zentralgefängnis auf Långholmen untergebracht waren. In den Augen vieler Menschen war er einer der größten Humanisten im ganzen Land. Er war nicht nur ein Befürworter von Reformen im Strafvollzug, vor allem für Frauen, sondern auch eine bekannte Persönlichkeit des kulturellen Lebens.
    Er war Vorsitzender der Gesellschaft Die Neun , die begleitet von großen

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