Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
»Es sei denn, es käme ein anderer Grund infrage. Was die ganze Geschichte allerdings unendlich komplizierter machen würde, als sie ohnehin schon ist. Ihr werdet das, was ich jetzt sage, vermutlich aufdringlich finden, aber eine ehrliche Antwort wäre nur zu Eurem Besten. Damit ich entscheiden kann, welchen Weg wir in diesem Fall einschlagen müssten … Sagt, mein Kind, seid Ihr und Stockton indiskret gewesen?«
Kapitel 20
Etwas Feuchtes leckte seine Wange. Bestimmt sein Hund, dachte Lucien noch ganz benommen. Eigentlich durfte der nicht auf sein Bett, aber jemand hatte ihn wohl heimlich in sein Schlafzimmer gelassen. Wie hieß er gleich? Dodger? Ja, so war es. Er hatte eine spitze Nase und treue braune Augen. Nur war der Spaniel nicht schon lange tot?
Eine Hand schüttelte seine Schulter.
Die braunen Augen waren nicht die seines Hundes, sondern gehörten zu einem unbekannten Mann, der sich über ihn beugte.
Er versuchte den Kopf zu heben, doch es fehlte ihm die Kraft, und so sank er zurück in seinen Wachtraum, gegen den er sich gleichzeitig wehrte.
Als er spürte, dass er Sand im Mund hatte, probierte er es erneut und hob den Kopf so weit, dass er den Sand ausspucken konnte. Dann blinzelte er ins grelle Sonnenlicht und stellte fest, dass er klatschnass auf dem Strand lag. Ohne die geringste Ahnung zu haben, wie er hergekommen war.
Benommen stützte er sich auf einen Ellbogen und stöhnte. Der Mann, der ihn wachgerüttelt hatte, sprach in einer Sprache mit ihm, die er nicht verstand.
Na wunderbar.
Lucien gab sich Mühe, auf die Knie zu kommen. Nein, auch das ging nicht. Sein Körper fühlte sich völlig zerschlagen an. War er vielleicht gegen die Felsen gespült worden, die er in der Nähe sah? Vage erinnerte er sich plötzlich an Artemis und den verfluchten Madison. Und an seinen Sprung aus dem Fenster, ehe seine Entführer sein Schicksal besiegeln konnten. Er war geschwommen, ja, auch das fiel ihm wieder ein. Wie lange er im Wasser gewesen war, das wusste er allerdings nicht.
Durst . Sein Mund war wie ausgedörrt.
»Wasser«, krächzte er mit letzter Kraft.
»Qué?«
Was für eine Sprache war das bloß? »Wasser«, wiederholte er.
Der dunkelhaarige Mann vor ihm schüttelte den Kopf.
Mit großer Mühe hob Lucien die Hand und machte eine Bewegung, als führe er ein Glas zum Mund.
» Si, si. « Sein Retter … falls er das überhaupt war … lächelte und erhob sich, ging davon. Ließ ihn einfach dort in der Brandung liegen, umspült von Wellen. Irgendwann wich das Wasser zurück, und er begann seinen Körper zu untersuchen. Jeder Knochen tat ihm weh, und überall hatte er Kratzer und Prellungen. Gebrochen schien zum Glück nichts zu sein. Als er eine Hand hob, um sich Sand aus dem Gesicht zu wischen, sah er Blut daran kleben.
Insgesamt war er zwar nicht im besten Zustand, doch er lebte, wenngleich desorientiert und schwach. Zunehmend kehrten Bruchstücke der Erinnerung zurück. Die Strömung. Ja, sie hatte ihn vom Strand weggetragen. Es war ein Wunder, dass er noch lebte. Hoffentlich glaubten seine Entführer, dass er ertrunken sein müsse, und suchten nicht nach ihm.
Er kroch unbeholfen ein Stück den Strand hinauf, um sich vor den zurückkehrenden Wellen in Sicherheit zu bringen. Der brennende Durst war die reine Folter. Falls sein dunkelhaariger Freund nicht bald mit Wasser auftauchte, würde er den nächsten Tag nicht mehr erleben. Erschöpft wandte er das Gesicht der Sonne zu.
Zum ersten Mal in ihrem Leben waren sie nicht einer Meinung.
Gut, nicht zum ersten Mal. Sie hatten sich schon oft gestritten, aber diese kindischen Kabbeleien unterschieden sich deutlich von diesem Streit. Charles war nicht ganz sicher, was er tun sollte.
»Ich reise ab«, sagte Vivian leise. Sie sah ziemlich blass aus und schmal, was durch die offen auf die Schulter fallenden Haare, die ihr Gesicht wie ein dunkler Heiligenschein umrahmten, noch betont wurde. »Dein Vater hat mich eingeladen, und ich gehe mit ihm. Er hat recht, Charles, weißt du … Ich kann hier im Augenblick nichts tun, und London ist derzeit unerträglich für mich. Meinetwegen soll meine Mutter jammern, ich würde weglaufen. Das ist mir egal. Und was die Leute denken, kümmert mich noch weniger. Um deren Meinung habe ich mich schließlich nie geschert. Wenn ich das täte, wäre ich längst mit irgendeinem Hohlkopf verheiratet.«
Irgendwie verstand Charles sie, doch ihr Vorhaben durchkreuzte seine eigenen Pläne. Er hatte aufVivians Hilfe
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