Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
er so einfach weggelaufen.« Sie atmete tief durch. »Es war einer der schrecklichsten Augenblicke meines ganzen Lebens, als ich zu dem Schluss kommen musste, dass er mich nicht verlassen hat.«
Typisch Vivian, dachte Charles gerade, als sie neben ihm in Tränen ausbrach.
Was überhaupt nicht ihrer Art entsprach.
Charles war erstarrt und konnte sich einen Moment lang nicht rühren. Er hatte schon viele Situationen erlebt, in denen sie Grund genug zum Weinen gehabt hätte. Wenn die Gesellschaft sich mal wieder aufs Hässlichste über sie mokierte oder wenn ihre Mutter sie mit dummen Kommentaren blamierte.
Niemals hatte er Vivian weinen sehen, nicht einmal in ihrer Kindheit, als sie vom Pony gestürzt war . Nie.
Ohne lange nachzudenken, kniete er sich vor sie und legte die Arme um ihre bebenden Schultern. »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Wegen allem, was ich falsch gemacht habe. Sag mir, wie ich dir helfen kann. Ich werde alles für dich tun.«
Tränennasse grüne Augen musterten ihn tadelnd, als sie sich aus seinen Armen löste. »Wenn ich wüsste, was zu tun ist, würde ich das selbst in die Hand nehmen.«
Das war jetzt wieder ganz Vivian, dachte Charles. So unabhängig und stets darauf bedacht, sich selbst treu zu bleiben trotz Kritik und Spott.
»Ich weiß es auch nicht«, gab er seufzend zu und ließ sie los. »Ich bin verzweifelt. Frisch verheiratet, mit meinem todkranken Vater über Kreuz und ohne meinen Bruder zur Seite zu haben. Und dir kann ich absolut keinen Trost spenden.«
Vivian schlug für einen Moment die Augen nieder und schluckte, bevor sie ihn wieder ansah. »Es gibt da etwas, was ich dir wohl sagen sollte. Vielleicht bist du schockiert … für mich hingegen wäre es sogar eine Erleichterung. Durchaus möglich, dass … Also, ich bin nicht sicher, aber es sieht fast so aus, dass ich ein Kind erwarte.«
Charles, der gerade sein Taschentuch hervorziehen wollte, hielt in der Bewegung inne. » Was? «
Er hatte mit allem Möglichen gerechnet, nicht jedoch damit. Wenn er allerdings an sein Gespräch mit Lucien zurückdachte, fand er es wiederum gar nicht so erstaunlich.
»Ein Kind.« Sie blickte ihn direkt an. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, weil er noch immer vor ihr auf dem Boden kniete. Ihre Wimpern schimmerten feucht. »Luciens Kind.«
Konnte es denn noch vertrackter werden?
Er wüsste nicht, wie. Behutsam hakte er nach: »Ist es nur eine Vermutung? Oder hast du Grund zu der Annahme, dass es wirklich so ist?«
»Ich bin … über die Zeit.« Vivian errötete bei diesem intimen Geständnis, und die Farbe stand im krassen Gegensatz zu der vorherigen Blässe. »Das ist sehr ungewöhnlich. Und mir ist zudem immer mal wieder schwindlig und übel. Besonders morgens.«
Sie atmete erleichtert auf, dass sie die peinliche Beichte hinter sich hatte. Charles stand auf.
»Ich verstehe«, sagte er bloß.
»Ich kann nicht glauben, dass wir beide über so etwas reden.« Sie schaute auf ihre Hände, die gefaltet im Schoß lagen.
»Es war richtig, es mir zu sagen«, erwiderte er und mahnte sich zur Ruhe. »Viv, du kannst mir alles erzählen, das weißt du hoffentlich. Außerdem ist es das Kind meines Bruders.«
Wenn er sie vor seinem Verschwinden geheiratet hätte und es ein Junge würde, wäre das Baby vielleicht der nächste Duke, und er müsste lediglich die Vormundschaft übernehmen.
» Ganz sicher bin ich mir bislang nicht. Deshalb sollten wir uns nicht vorzeitig den Kopf zerbrechen.«
Charles fand, dass allein die Vermutung Grund war, sich Sorgen zu machen. Die Konsequenzen, die sich daraus ergäben, wären schrecklich. Sie wäre zwar nicht die erste Frau mit einem unehelichen Kind, doch für Vivian wäre es das gesellschaftliche Aus und für ihre ehrgeizige Mutter eine Katastrophe.
Verdammt, Lucien. Auch wenn er sie heiraten wollte, musste das sein?
Er schloss für einen Moment die Augen. Was gab ausgerechnet ihm das Recht, sich moralisch zu empören? Er hatte Louisa zwar nicht vor der Ehe verführt, dafür aber entführt, sie ohne Zustimmung ihrer Familie mit nach Schottland genommen. Diese Sünde war durchaus vergleichbar.
Liebe sollte einfach nicht so kompliziert sein.
»Wir werden uns um dich kümmern, falls es wirklich so ist«, sagte er schließlich. »Alles wird gut, Viv.«
»Wirklich?« Ihr Lächeln war traurig. »Schon ironisch, dass sich alles so entwickelt hat, nicht wahr? Als Lucien vorschlug, wir beide sollten heiraten, war ich im
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