Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
Zwischenzeit leider dramatisch verändert.«
Zum ersten Mal, seit sie die Duchess kannte, sah sie tatsächlich alt aus. Tiefe Linien gruben sich um ihren Mund, und die Haut wirkte dünn wie Pergament.
»Das sind höchst unerfreuliche Neuigkeiten«, sagte sie und starrte die gegenüberliegende Wand an.
»Es tut mir sehr leid, Euer Gnaden, dass ich eine schlechte Nachricht überbringe.«
»Kein Grund, sich zu entschuldigen. Das Alter ist Segen und Fluch zugleich. Nun, Ihr wollt mir vermutlich damit sagen, dass wir Euren jungen Mann nicht nur um Euretwillen schnellstmöglich finden müssen, sondern desgleichen zum Wohle seines Vaters.«
»Und auch um Charles’ willen. Er hat bereits die Polizei eingeschaltet, die allerdings bislang keine Spuren finden konnte, und ich habe einen Bekannten um Hilfe gebeten, der über einigen Einfluss verfügt. Soweit ich weiß, hat auch das bisher nichts gebracht.«
»Charles?« Die Herzoginwitwe schaute sie durchdringend an. »Mir ist bewusst, dass er zu den Männern gehört, zu dem sich Frauen hingezogen fühlen. Er ist liebenswert, ich mag ihn. Trotzdem überrascht es mich, wie bereitwillig Ihr diesem jungen Mann vergebt. Schließlich hat er Euch für eine hübsche kleine Pfarrerstochter verlassen.«
»Er liebt Louisa sehr.«
»Ja, das stimmt«, gab die Duchess zu. »Man braucht nicht viel Zeit mit den beiden zu verbringen, um das zu erkennen.«
»Und er hat mich nicht wirklich verlassen, jedenfalls sehe ich das nicht so. Außerdem ist er nach wie vor mein Freund und steht mir zur Seite. Wenn ich ihn jetzt nicht hätte …«
»Ihr seid schon ein merkwürdiges Kind.« Die Duchess neigte leicht den Kopf. »Aber ich bewundere Euren unabhängigen Geist und Eure Treue. Ich werde mit Eurer Mutter sprechen.«
»Ich danke Euch von Herzen, Euer Gnaden.«
»Was wollt Ihr draußen auf dem Land eigentlich machen? An Euren Pflanzen herumfummeln?«
Vivian lachte. » Nun, mehr oder weniger. Der Duke hat mich gebeten, ihn bei seinem neuen Experiment zu unterstützen. Vielleicht tut uns beiden ja ein wenig Ablenkung gut.«
»Das wird er genießen. Ich kenne Sanford.«
Zwar war diese Einladung für Vivian im ersten Moment überraschend gekommen, doch es war ihr nur recht gewesen. Der Duke hatte sie äußerst höflich gefragt, ob sie sich nicht mit ihm nach Cheynes Hall zurückziehen und dort auf eine Nachricht von Lucien warten wolle. Und ähnlich wie ihr künftiger Schwiegervater war sie froh, nicht ständig dummen und hinterhältigen Fragen wie in London ausgesetzt zu sein. Und wenn die Duchess ihre Mutter umstimmte, würde einer baldigen Abreise nichts mehr im Wege stehen.
Auf dem Land konnte sie vielleicht zur Ruhe kommen, mal wieder schlafen und nachdenken. Noch wollte sie es nicht wahrhaben, dass Lucien vielleicht nie mehr zurückkam, aber in klaren Momenten sagte sie sich, dass sie diesen Gedanken nicht völlig wegschieben durfte. Und mit jedem Tag, der verging, wurde die Hoffnung ein Stückchen kleiner.
»Euer Gnaden, ich weiß wirklich zu schätzen, was Ihr für mich getan habt.«
»Solange Ihr nicht mit Stockton verheiratet seid, habe ich gar nichts getan«, sagte sie und seufzte. »Das alles ist so rätselhaft. Dabei seid Ihr beide so ein wunderschönes Paar. Wenn Ihr Euch anständig kleidet und eine geschickte Zofe an Eure Haare lasst, seht Ihr umwerfend aus. Und auf das ausnehmend gute Aussehen des Marquess muss ich Euch ja nicht extra hinweisen. Kurz gesagt …« Sie hielt inne. »Meine Liebe, ist Euch nicht wohl?«
Nein, ihr war im Augenblick sogar ausgesprochen unwohl, erkannte Vivian.
»Vielleicht war der Sherry keine so gute Idee«, flüsterte sie und stellte das Glas mit zittriger Hand beiseite. »Ich fühle mich schon die ganze Woche nicht besonders, aber zwischendurch ist es immer wieder besser.«
Die Duchess richtete sich auf. »Jennings!«, rief sie. »Ich brauche einen Diener und meine Zofe! Schnell!«
Kurz darauf fand Vivian sich auf einem Diwan liegend wieder, vor sich eine Schüssel. Und vor ihr kniete die Duchess of Eddington und drückte ihr ein feuchtes Tuch gegen die Stirn. »Sagt, mein Kind, was lässt Euch glauben, dass es schnell wieder vergeht? Ist das bereits häufiger passiert?«
»Ein paarmal«, gab sie zu und öffnete dankbar die Augen, weil der Raum sich nicht länger drehte und die plötzliche Übelkeit langsam nachließ.
»Das könnte natürlich eine psychische Reaktion auf Stocktons Verschwinden sein.« Die Duchess wirkte nachdenklich.
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