Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
gehofft, Louisa mit der Gesellschaft vertraut zu machen, der sie jetzt angehörte. Und jetzt brachte Luciens Verschwinden alles durcheinander. Ein schlechter Zeitpunkt für das gesellschaftliche Debüt seiner jungen Frau. Wenn Vivian jetzt auch noch abreiste, mussten er und Louisa sich allein mit den neugierigen Besuchern herumschlagen, die ständig in Sanford House ihre Aufwartung machten.
Er fuhr mit einer Hand durch die Haare und atmete tief durch. »Entschuldige, Viv. Ich habe ausgesprochen selbstsüchtig gedacht, als ich dich bat zu bleiben.«
Sie blickte ihn direkt an. »Ich bin genauso selbstsüchtig, indem ich das Weite suche. Du bist mit der Übernahme von Luciens Aufgaben ohnehin über Gebühr beansprucht. Das alles muss schwierig für dich sein.«
»Ja, das ist es. Und mein Vater hilft nicht wie versprochen, sondern zieht sich lieber mit dir aufs Land zurück.«
»Er ist unglücklich, Charles. Vielleicht kommt er ja in seiner vertrauten Umgebung zur Besinnung.«
Ein trostloses Lächeln trat auf sein Gesicht. »Nein, Viv, er konnte noch nie wirklich mit mir reden. Dabei wäre das jetzt so dringend notwendig …«
»Ich weiß, aber das wiederum sieht er nicht ein. Er wird sich nicht mehr ändern, Charles. Das musst du akzeptieren.«
Wegen seiner Krankheit . Inzwischen hatte Charles begriffen, wie schwer sich sein Vater damit tat, dass ihm nichts und niemand helfen konnte, die Krankheit zu besiegen, die sich heimtückisch in sein Leben geschlichen hatte und es zu zerstören drohte. Er tat deshalb lieber mit wahrhaft fürstlicher Verachtung so, als gäbe es diese tödliche Gefahr nicht.
Charles sank in einen Stuhl und schloss für einen Moment die Augen. »Vermutlich kamen wir vorher nur deshalb einigermaßen gut miteinander aus, weil wir unsere Verschiedenheit akzeptierten und unsere Lebenskreise sich kaum berührten. Aber wer hätte gedacht, dass so etwas passiert? Nachdem alles nach unserer geplatzten Verlobung eine letztlich glückliche Wendung genommen zu haben schien. Und dann verschwindet Lucien … Was zur Hölle ist hier los? Weißt du, manchmal sehne ich mich in die Kindheit zurück … Da war alles so viel einfacher.«
»Nein, war es nicht.« Sie seufzte. Es war ein düsterer Nachmittag, und ihre Gesichtszüge wirkten umschattet. »Damals hielten wir jede Kleinigkeit für eine Katastrophe. Ich weiß, du möchtest gerne, dass ich bleibe und dich unterstütze. Nur solltest du langsam anerkennen, dass es hier einfach nichts zu tun gibt. Warum schickst du Louisa nicht mit uns zusammen aufs Land und lässt jeden aufdringlichen Besucher von eurem Butler oder Luciens Sekretär abwimmeln?«
Der Vorschlag kam überraschend, war aber bedenkenswert. Trotzdem schüttelte er den Kopf. »Mein Vater und sie …«
»Sie und ich, wir könnten einander Gesellschaft leisten, und ich kann vermittelnd eingreifen. Denkst du, dass es in dieser Situation in London leichter für sie ist? So ganz allein, von dir mal abgesehen. Und dann mit den boshaften Gestalten, die jeden ihrer Schritte beobachten und sich bei jedem Fehler genüsslich das Maul zerreißen? Und außerdem habe ich nicht den Eindruck, dass sie sich in London besonders wohlfühlt.«
Er war sich durchaus bewusst, dass seine Frau sich von der neuen Rolle überfordert fühlte. Und dann noch die erschreckende neue Perspektive, dass sie womöglich nicht nur den Sohn eines Dukes geheiratet hatte, sondern dessen Nachfolger und dass der Erbfall in naher Zukunft zu erwarten war. Zwei Schicksalsschläge auf einmal, das war einfach zu viel.
»Verflucht, Viv. Warum verlasst ihr alle mich ausgerechnet jetzt?«
Sie lachte leise. Als gute Freundin nahm sie es Charles nicht übel, dass er die Nerven verlor.
»Sollte nicht eigentlich ich diejenige sein, die sich verlassen fühlt?«
»So habe ich das nicht gemeint«, erwiderte er unwirsch. »Lucien würde dir so etwas niemals antun. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie sehr ich mich um ihn sorge?«
»Lucien würde mir das nichtantun«, wiederholte sie leise. »Das sage ich mir selbst immer wieder, jeden Tag aufs Neue. Zuerst war ich mir nicht ganz sicher, das gebe ich offen zu. In gewisser Weise kenne ich ihn ja nicht halb so gut wie dich und in anderer Hinsicht so viel besser. Doch mit jeder verstreichenden Minute wuchs in mir die Erkenntnis, dass es eine Eigenschaft gibt, die er nicht hat. Und das ist Feigheit. Falls er es sich mit der Heirat anders überlegt hätte, würde er es mir gesagt haben. Niemals wäre
Weitere Kostenlose Bücher