Ein Vampir für alle Fälle
würde ihm sicher passen. Nein, dachte ich dann, Amelia war etwas größer als ich, und eine Kleiderspende von ihr wäre mehr als nur gerechtfertigt. Ich entdeckte den Wäschekorb voll frisch gewaschener Sachen, den Amelia auf die Treppe gestellt hatte, um ihn beim nächsten Mal mit hinaufzunehmen. Sieh an, da waren doch ein altes blaues Sweatshirt und eine schwarze Jogginghose. Wortlos reichte ich beides Bob, und er zog sich mit zitternden Händen an. Als ich den Wäschestapel durchsuchte, fand ich auch noch ein Paar weiße Socken. Er setzte sich aufs Sofa, um sie anzuziehen. So weit konnte ich ihn erst mal einkleiden. Seine Füße waren größer als meine oder Amelias, Schuhe waren also nicht im Angebot.
Bob schlang die Arme um sich, als fürchtete er, er könnte wieder verschwinden. Sein dunkles Haar klebte ihm am Kopf. Er blinzelte. Wahrscheinlich fragte er sich, was aus seiner Brille geworden war. Hoffentlich hatte Amelia die irgendwo verwahrt.
»Bob, möchten Sie etwas trinken?«, fragte ich.
»Ja, gerne.« Er schien Schwierigkeiten zu haben, mit den Lippen Worte zu formen, und wischte sich mit der Hand in einer komischen Geste am Mund entlang - genau wie meine alte Katze Tina, wenn sie sich die Pfote leckte, ehe sie sich zu putzen begann. Bob bemerkte, was er da tat, und ließ die Hand abrupt sinken.
Kurz dachte ich daran, ihm Milch in einer Schüssel zu bringen, aber das wäre wohl eine Beleidigung gewesen. Stattdessen holte ich ihm ein Glas Eistee. Er trank davon, verzog aber das Gesicht.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich hätte fragen sollen, ob Sie Eistee mögen.«
»Ich mag Tee«, sagte er und sah das Glas an, als würde er erst jetzt den Tee mit der Flüssigkeit in seinem Mund in Verbindung bringen. »Ich bin nur nicht mehr daran gewöhnt.«
Okay, ich weiß, das mag jetzt ziemlich schrecklich klingen, aber ich hätte Bob tatsächlich beinahe gefragt, ob er etwas Katzenfutter möchte. Amelia hatte noch einen ganzen Beutel Whiskas im Regal auf der hinteren Veranda. Gerade noch rechtzeitig biss ich mir auf die Lippe. »Wie wär's mit einem Sandwich?« Ich hatte eben keine Ahnung, worüber ich mit Bob reden sollte. Über Mäuse?
»Warum nicht.« Er schien selbst nicht zu wissen, was er als Nächstes tun sollte.
Also machte ich ihm ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade und eins aus Vollkornweizen mit Schinken, Gewürzgurke und Senf. Er aß sie beide, auch wenn er sehr langsam und vorsichtig kaute. Dann entschuldigte er sich, verschwand ins Badezimmer, schloss die Tür hinter sich und blieb eine sehr lange Zeit darin.
Amelia und Octavia kamen erst ins Haus, als Bob schon im Bad war.
»Es tut mir so leid«, versicherte Amelia.
»Mir auch«, sagte Octavia, die älter und kleiner wirkte.
»Sie wussten die ganze Zeit, wie man ihn zurückverwandeln kann?« Ich versuchte, ganz ruhig und ohne Vorwurf in der Stimme zu sprechen. »Ihr misslungener Versuch war eine List?«
Octavia nickte etwas beschämt. »Ich hatte Angst, ich dürfte nicht mehr zu Besuch kommen, wenn Sie mich nicht mehr brauchen. Dann hätte ich weiter bei meiner Nichte bleiben müssen. Aber hier ist es so viel schöner. Ich hätte es bald zugegeben, denn mich hat mein Gewissen doch sehr geplagt, seit ich hier wohne.« Sie schüttelte ihren ergrauten Kopf. »Ich bin ein schlechter Mensch, weil ich Bob länger als nötig als Kater habe leben lassen.«
Amelia war entsetzt. Offenbar war Octavias Sturz vom Sockel auch für sie eine völlig überraschende Wendung, die ihre eigene Schuld, Bobs Schicksal betreffend, weit in den Hintergrund rückte - obwohl es doch allein durch sie überhaupt erst so weit gekommen war. Amelia war eindeutig eine Frau, die ganz im Hier und Jetzt lebte.
Als Bob wieder aus dem Badezimmer kam, marschierte er schnurstracks auf uns zu. »Ich will zurück in meine Wohnung in New Orleans«, forderte er. »Wo zum Teufel bin ich hier überhaupt? Wie bin ich hierhergekommen?«
Aus Amelias Gesicht wich alle Farbe. Octavias Miene verdüsterte sich. Ich verließ auf leisen Sohlen das Wohnzimmer. Was jetzt kam, würde höchst unerfreulich werden, da die beiden Hexen Bob nun auch noch von Katrina erzählen mussten. Ich wollte lieber nicht miterleben, wie er diese schreckliche Nachricht aufnehmen würde, die noch obendrauf kam auf all das, womit er sowieso schon fertig werden musste.
Wo Bob wohl gewohnt hatte, fragte ich mich. Ob es sein Apartment noch gab? Waren seine Besitztümer noch vorhanden? Lebte seine Familie
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