Ein Vampir für alle Fälle
Jobs in Bars wie dem Fangtasia waren das Paradies auf Erden für diese Leute, und die Chance, gebissen zu werden, galt ihnen gleichsam als heilig. Der Kodex der Vampirsüchtigen verlangte, dass sie sich »geehrt« fühlten, wenn ein Untoter ihnen das Blut aussaugen wollte. Und falls sie dabei starben - tja, das war dann wohl auch so was wie eine Ehre. Hinter all dem falschen Pathos und der verquasten Sexualität des typischen Vampirsüchtigen stand die unausgesprochene Hoffnung, dass irgendwann ein Vampir den Vampirsüchtigen für »würdig« befinden würde, zu den Vampiren herübergeholt zu werden. Als müsste man dafür erst einen Persönlichkeitstest ablegen.
»Danke, Lizbet«, sagte ich.
Lizbet legte den Telefonhörer mit einem dumpfen Knall hin und machte sich auf die Suche nach Eric. Ich hätte ihr keine größere Freude bereiten können.
»Ja«, sagte Eric nach ungefähr fünf Minuten.
»Ganz schön beschäftigt, wie?«
»Oh, ich war... beim Abendessen.«
Ich zog die Nase kraus. »Na, hoffentlich bist du satt geworden«, erwiderte ich, ohne auch nur ein Wort davon ernst zu meinen. »Sag mal, hast du eigentlich irgendwas über Jonathan herausgefunden?«
»Hast du ihn wiedergesehen?«, fragte Eric scharf.
»Oh, nein. Ich wollte nur mal fragen.«
»Wenn du ihn siehst, muss ich es umgehend wissen.«
»Okay, verstanden. Was hast du also erfahren?«
»Er ist schon an verschiedenen Orten gesehen worden«, sagte Eric. »Und als ich nicht hier war, kam er sogar mal ins Fangtasia. Pam ist bei dir zu Hause, richtig?«
Ein äußerst ungutes Gefühl beschlich mich. Ging Pam vielleicht gar nicht aus reinem Vergnügen mit Amelia ins Bett? Tarnte sie vielleicht etwas rein Geschäftliches mit einer heißen Geschichte und war bloß mit Amelia zusammen, um auf mich aufzupassen? Verdammte Vampire , dachte ich wütend. Dieses Szenario ähnelte viel zu sehr einem aus meiner jüngsten Vergangenheit, das mich stark verletzt hatte.
Aber ich würde keine Fragen stellen. Hier wäre Wissen viel schlimmer als der bloße Verdacht.
»Ja«, sagte ich steif. »Sie ist hier.«
»Gut. Falls dieser Jonathan auftaucht, kann Pam sich um ihn kümmern.« Eric klang einigermaßen zufrieden. »Da sie ja sowieso schon bei dir ist«, schob er wenig überzeugend nach. Es war ein allzu durchsichtiger Versuch, meine - wie Eric wusste - verletzten Gefühle zu beschwichtigen. Einem Schuldbewusstsein entsprang seine letzte Bemerkung garantiert nicht.
Finster starrte ich die Tür meines eingebauten Schranks an. »Verrätst du mir mal, wieso du so nervös bist? Das liegt doch wohl nicht an diesem Typen.«
»Du hast die Königin seit Rhodes nicht gesehen«, erwiderte Eric.
Dieses Gespräch würde keinen guten Verlauf nehmen. »Nein. Was ist denn los mit ihren Beinen?«
»Sie wachsen wieder«, sagte Eric.
Wie hatte ich mir das vorzustellen? Wuchsen die Füße geradewegs aus den Stümpfen heraus, oder kamen zuerst die Beine und die Füße ganz zum Schluss? »Das ist doch gut, oder?«, fragte ich. Beine zu haben war auf jeden Fall eine gute Sache.
»Es verursacht starke Schmerzen«, erklärte Eric, »wenn man große Körperteile verliert und diese nachwachsen. Es wird eine ganze Weile dauern. Sie ist sehr ... Sie ist behindert.« Das letzte Wort sprach er so langsam aus, als kenne er es zwar, hätte es aber noch nie benutzt.
Ich fragte mich, was Eric mir da eigentlich erzählen wollte, ausgesprochen und unausgesprochen. Gespräche mit Eric waren meistens höchst mehrdeutig.
»Es geht ihr also noch nicht gut genug, um die Geschäfte wieder aufzunehmen«, stellte ich schließlich fest. »Und wer vertritt sie solange?«
»Die Sheriffs kümmern sich um die laufenden Dinge«, sagte Eric. »Gervaise ist ja bei dem Bombenattentat umgekommen, bleiben also ich, Cleo und Arla Yvonne. Vieles wäre einfacher, wenn Andre überlebt hätte.« Ein Schuldgefühl durchfuhr mich, aber auch Angst. Ich hätte Andre retten können. Aber weil ich Andre fürchtete und verabscheute, hatte ich es nicht getan. Ich hatte zugelassen, dass er ermordet wurde.
Eric schwieg einen Augenblick, und ich fragte mich schon, ob er meine Schuldgefühle und Ängste bemerkte. Es wäre eine Katastrophe, wenn er erfahren würde, dass Quinn Andre mir zuliebe umgebracht hatte. Doch Eric sprach weiter. »Andre hätte die Fäden zusammengehalten, er war die rechte Hand der Königin. Wenn schon einer ihrer Gefolgsleute sterben musste, hätte es lieber diesen hirnlosen Muskelprotz Sigebert
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