Ein Vampir für alle Fälle
Ende war und ich aus dem Merlotte's rauskam. Holly und ich machten die Übergabe an Arlene und Danielle und holten unsere Handtaschen. Draußen wurde es langsam dunkel, die Außenbeleuchtung war bereits eingeschaltet. Es würde Regen geben, Wolken verdeckten die Sterne. Die Klänge aus der Jukebox wurden schwächer, als die Tür hinter uns zufiel; Carrie Underwood sang › Jesus Take the Wheel ‹ . Nicht die schlechteste Idee, dachte ich, Jesus das Steuer zu überlassen.
Auf dem Parkplatz blieben wir eine Weile neben unseren Autos stehen. Der Wind wehte, und es war recht kühl.
»Ich weiß schon, Jason ist Hoyts bester Freund«, sagte Holly plötzlich. Ihre Stimme klang unsicher, und ihre Miene war schwer zu entziffern. Doch mir war natürlich klar, dass sie nicht wusste, ob ich hören wollte, was sie mir zu sagen hatte. »Ich habe Hoyt schon immer gemocht. Er war schon in der Schule ein netter Typ. Und ich war nur deshalb nicht früher mit ihm zusammen, weil er - hoffentlich nimmst du mir das jetzt nicht übel - weil er so dick mit Jason befreundet ist.«
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. »Du magst Jason nicht«, sagte ich schließlich.
»Oh, doch, ich mag Jason. Wer mag Jason nicht? Aber tut er Hoyt auch gut? Kann Hoyt glücklich sein, wenn er das feste Band zwischen ihnen lockert? Ich kann eben nur mit Hoyt zusammen sein, wenn er auch mit mir so eng befreundet ist wie mit Jason. Du verstehst schon, was ich meine.«
»Ja«, sagte ich. »Ich liebe meinen Bruder. Aber ich weiß, dass Jason nicht gerade berühmt dafür ist, an das Wohl der anderen zu denken.« Und das war noch milde ausgedrückt.
»Ich mag dich«, sagte Holly. »Ich wollte deine Gefühle nicht verletzen. Aber ich dachte mir schon, dass du es sowieso weißt.«
»Ja, irgendwie schon«, erwiderte ich. »Ich mag dich auch, Holly. Du bist eine gute Mutter und arbeitest hart, um für deinen Sohn zu sorgen. Und du hast ein gutes Verhältnis zu deinem Ex. Aber was ist mit Danielle? Ich dachte immer, ihr wärt so gut befreundet wie Hoyt und Jason.« Danielle war ebenfalls eine geschiedene Mutter, Holly und sie waren seit der Grundschule die dicksten Freundinnen gewesen. Danielle bekam allerdings etwas mehr Unterstützung als Holly, denn ihre Eltern waren noch rüstig und freuten sich, bei der Betreuung der beiden Kinder helfen zu können. Und Danielle ging schon eine ganze Weile mit einem neuen Mann aus.
»Ich hätte nie gedacht, dass sich zwischen Danielle und mich mal was schieben könnte, Sookie.« Holly zog ihre Jacke an und fischte in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln. »Aber irgendwie haben sich unsere Wege getrennt. Manchmal gehen wir noch zusammen zum Lunch, und unsere Kinder spielen noch miteinander.« Holly seufzte schwer. »Ich weiß auch nicht. Als ich anfing, mich für was anderes zu interessieren als die Welt hier in Bon Temps, in der wir aufgewachsen sind, fand Danielle das irgendwie falsch. Sie hat meine Neugier nicht verstanden. Und als ich eine Wicca wurde, hat sie das total abgelehnt, sie lehnt es immer noch ab. Wenn sie das mit den Werwölfen wüsste, wenn sie wüsste, was mir passiert ist...« Eine Hexe, die ihre Gestalt wandeln konnte, hatte Eric zwingen wollen, ihr einen Großteil seiner Geschäfte und damit seines Geldes abzutreten. Und zu diesem Zweck hatte sie alle Hexen und Wiccas der Umgebung gezwungen, ihr zu helfen, samt der widerwilligen Holly. »Diese ganze Sache hat mich verändert«, fügte Holly noch hinzu.
»Ja, der Umgang mit den Supras verändert einen, was?«
»Schon. Aber sie sind Teil unserer Welt. Eines Tages wird das jeder wissen. Eines Tages wird... die ganze Welt anders sein.«
Ich blinzelte. Damit hatte ich nicht gerechnet. »Was meinst du damit?«
»Na, wenn sie alle an die Öffentlichkeit treten«, sagte Holly, überrascht von meinem Mangel an Weitsicht. »Wenn sie alle an die Öffentlichkeit treten und zu ihrer Existenz stehen. Jeder auf der Welt wird sich damit abfinden müssen. Sicher, manche werden es nicht wollen. Vielleicht gibt es dann Gegenbewegungen oder sogar Kriege. Vielleicht bekämpfen die Werwölfe all die anderen Gestaltwandler, oder die Menschen greifen die Werwölfe und die Vampire an. Oder vielleicht warten die Vampire - du weißt ja, dass sie die Werwölfe im Grunde verachten -, bis sie eines schönen Nachts alle Wergeschöpfe töten können, damit die Menschen ihnen dankbar sind.«
Hatte Holly nicht etwas Poetisches? Sie war eine richtige Visionärin, wenn
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