Ein Vampir für alle Fälle
telefonierte im Büro, als Tanya Grissom ins Merlotte's kam. Die kleine Frau mit den weiblichen Kurven sah so hübsch und gesund aus wie ein Milchmädchen. Tanya setzte nur wenig Make-up ein, dafür aber immer sehr viel Selbstsicherheit.
»Wo ist Sam?«, fragte sie, und ihr kleiner Mund verzog sich zu einem Lächeln. Ich lächelte zurück, ebenso unecht. Miststück.
»Im Büro«, sagte ich, als wüsste ich stets genau, wo Sam sich gerade aufhielt.
Als Tanya sich abwandte und Sam suchen ging, blieb Holly auf dem Weg zur Durchreiche stehen und sagte leise: »Die Frau dort, die ist ein tiefes Wasser.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Sie wohnt draußen in Hotshot, ist mit ein paar Frauen von dort zusammengezogen«, erzählte Holly. Unter all den »normalen« Einwohnern von Bon Temps war Holly eine der wenigen, die wusste, dass es Geschöpfe wie Werwölfe und Gestaltwandler gab. Ich hatte keine Ahnung, ob sie erkannt hatte, dass die Bewohner von Hotshot Werpanther waren. Doch Holly wusste, dass dort Inzucht herrschte und die Leute alle etwas seltsam waren. Hotshot , das war geradezu gleichbedeutend mit seltsam im Landkreis Renard. Und sie hielt Tanya (eine Werfüchsin) allein schon deshalb für gefährlich oder zumindest verdächtig, weil sie in Hotshot Anschluss suchte.
Ich verspürte einen Stich echter Angst. Tanya und Sam könnten sich zusammen verwandeln, schoss es mir durch den Kopf. Sam würde das sicher gefallen. Er könnte sich sogar selbst in einen Fuchs verwandeln, wenn er wollte.
Es kostete mich enorme Anstrengung, nach diesen Gedanken meine Gäste weiter anzulächeln. Und ich schämte mich. Ich sollte mich doch eigentlich freuen für Sam, dachte ich. Ganz offensichtlich interessierte sich eine Frau für ihn, und sogar eine Frau, die seine wahre Natur zu schätzen wüsste. Tja, es sprach nicht gerade für mich, dass ich mich ganz und gar nicht freute. Diese Tanya war einfach nicht gut genug für ihn. Aber ich hatte ihn ja bereits vor ihr gewarnt.
Als Tanya aus Sams Büro kam und das Merlotte's durch den Vordereingang verließ, wirkte sie längst nicht mehr so selbstsicher wie zuvor. Ich grinste hinter ihr her. Ha! Dann kam Sam an den Tresen und übernahm wieder das Bierzapfen. Auch er schien nicht mehr annähernd so gut gelaunt wie vorhin.
Sofort war mein Grinsen wieder verschwunden. Was war denn da los? Ich servierte Sheriff Bud Dearborn und Alcee Beck den Lunch (wobei Alcee mich die ganze Zeit finster anstarrte), doch die Frage ließ mich nicht los. Schließlich entschied ich mich, einen Blick in Sams Gedanken zu werfen. Seit einiger Zeit konnte ich nämlich mein telepathisches Talent viel gezielter einsetzen. Es fiel mir sogar viel leichter, mich mit meinen Schutzbarrieren gegen das ständige Getöse um mich herum abzuschotten, jetzt, da ich diese Blutsbande mit Eric hatte - auch wenn ich's nicht gern zugab. Okay, nett ist es nicht, in den Gedanken anderer herumzustöbern. Aber ich konnte das schon immer, und es war mir quasi zur zweiten Natur geworden.
Ich weiß, das ist eine lahme Ausrede. Herrje, ich war es eben gewohnt, Bescheid zu wissen. Dieses Rätselraten nervte mich. Die Gedanken von Gestaltwandlern sind schwieriger zu lesen als die normaler Leute, und Sam war sogar unter den Gestaltwandlern noch ein besonders schwieriger Fall. Aber ich bekam immerhin mit, dass Sam frustriert, unsicher und nachdenklich war.
Und dann erschrak ich doch über meine Unverfrorenheit und meine fehlenden Manieren. Letzte Nacht hatte Sam sein Leben für mich riskiert. Er hatte mir das Leben gerettet . Und was tat ich? Stöberte in seinem Kopf herum wie ein Kleinkind in der Spielzeugkiste. Ich wurde ganz rot vor Scham und verlor den Faden, als die junge Frau an dem Tisch vor mir in einem endlos scheinenden Wortschwall ihren Lunch bestellte und mich schließlich freundlich fragte, ob ich mich auch wohlfühle. Ich riss mich zusammen, konzentrierte mich und schrieb ihre Bestellung auf: Chili, Cracker, Tee mit Zucker. Ihre Freundin, eine Frau Mitte fünfzig, wollte einen Hamburger Lafayette, einen kleinen Salat und dazu ein Bier. Ich notierte noch Dressing und Biermarke, und schon flitzte ich zur Küchendurchreiche und gab meine Bestellung weiter. Als ich neben Sam stand, nickte ich bloß zu einem der Bierhähne hinüber, und schon einen Moment später hielt ich das richtige Bier in Händen. Ich war zu durcheinander, um mit Sam zu reden. Er warf mir einen neugierigen Blick zu.
Ich war froh, als meine Schicht zu
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