Ein Vampir für alle Fälle
lebte.
Eine Todesanzeige für einen Vampir hatte ich noch nie gelesen. Und diese hier war eine einzige Lüge. Sophie-Anne hatte nicht Sino-Aids gehabt, die einzige Krankheit, die vom Menschen auf Vampire übertragbar war. Sophie-Anne war vermutlich eher an einem akuten Loch im Herzen infolge Pfählens gestorben. Sino-Aids war jedoch gefürchtet unter Vampiren, auch wenn es nicht hoch ansteckend war. Zumindest klang es nach einer Erklärung, die von den Managern der Geschäftswelt klaglos geschluckt würde, wenn plötzlich ein anderer Vampir Sophie-Annes Holdings führte. Und es war eine Erklärung, die niemand genau prüfen würde, zumal es nicht mal eine Leiche gab, mit der man die Behauptung widerlegen konnte. Damit die Todesanzeige heute schon in der Zeitung stand, musste jemand direkt nach ihrem Tod in der Redaktion angerufen haben, vielleicht sogar noch vor ihrem Tod. Mich schauderte.
Was wohl Sigebert, Sophie-Annes treu ergebenem Bodyguard, tatsächlich zugestoßen war? Victor hatte angedeutet, dass Sigebert zusammen mit der Königin umgekommen war. Eindeutig waren seine Worte zwar nicht gewesen, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass ihr Bodyguard überlebt hatte. Nie hätte er jemanden nahe genug an Sophie-Anne herangelassen, um sie zu töten. Sigebert war so viele Jahre, ja Jahrhunderte an ihrer Seite gewesen, dass er wohl ihren Verlust nicht überlebt hätte.
Ich legte die Seite mit den Todesanzeigen auf Sams Schreibtisch; das Merlotte's war ein viel zu betriebsamer Ort, um über so etwas zu reden, selbst wenn wir Zeit gehabt hätten. Und die Gäste strömten nur so herein. Ich rannte mir die Hacken wund, um alle zu bedienen und natürlich auch, um gutes Trinkgeld zu kassieren. Doch nach der Woche, die ich hinter mir hatte, fiel es mir nicht nur schwer, mich über das Geld zu freuen, es war mir auch fast unmöglich, auf die üblich fröhliche Weise meine Arbeit zu verrichten. Ich tat einfach mein Bestes und antwortete lächelnd, wann immer ich angesprochen wurde.
Als meine Schicht endlich zu Ende war, wollte ich mit niemandem mehr über irgendetwas reden.
Aber meine Wünsche zählten natürlich mal wieder nicht.
Vor meinem Haus warteten bereits zwei Frauen auf mich, und beide strahlten Verärgerung aus. Die eine kannte ich: Frannie Quinn. Und die Frau an ihrer Seite musste Quinns Mutter sein. Im grellen Licht der Außenbeleuchtung konnte ich die Frau, deren Leben eine solche Katastrophe gewesen war, gut sehen. Sie war immer noch schön, aber auf so eine Gothic-Art, die überhaupt nicht zu ihrem Alter passte. Sie war Ende vierzig, ihr Gesicht hager und ihre Augen umschattet. Ihr schwarzes Haar war bereits von grauen Strähnen durchzogen, und sie war sehr groß und schlank. Frannie trug ein ärmelloses Top, das ihren BH sehen ließ, enge Jeans und Stiefel, und ihre Mutter hatte so ziemlich das Gleiche an, wenn auch in anderen Farben. Vermutlich war Frannie zuständig dafür, was ihre Mutter anzog.
Ich parkte mein Auto neben ihnen, denn ich hatte keine Lust, sie ins Haus zu bitten. Widerwillig stieg ich aus.
»Du Miststück!«, rief Frannie leidenschaftlich. Ihr junges Gesicht war wutverzerrt. »Wie kannst du meinem Bruder das antun? Er hat so viel für dich getan!«
So konnte man es natürlich auch sehen. »Frannie«, sagte ich und versuchte, so ruhig und gelassen wie möglich zu sprechen, »was sich zwischen Quinn und mir abspielt, geht dich wirklich nichts an.«
Die Haustür ging auf, und Amelia trat auf die Veranda. »Sookie, brauchst du mich?«, fragte sie, und ich roch geradezu die Magie, die sie umgab.
»Ich komme gleich rein, einen Moment«, erwiderte ich, aber ohne sie wieder ins Haus hineinzuschicken. Mrs Quinn war eine vollblütige Wertigerin und eindeutig stärker als ich, und auch Frannie war nicht zu unterschätzen.
Mrs Quinn trat auf mich zu und sah mich fragend an. »Sind Sie die, die John liebt?«, fragte sie. »Sind Sie die, die mit ihm Schluss gemacht hat?«
»Ja, Ma'am. Es hat einfach nicht geklappt.«
»Die beiden sagen, ich muss wieder in die Wüste«, sagte sie. »An diesen Ort, wo sie all die verrückten Wergeschöpfe verwahren.«
Also doch, ein Sanatorium. »Oh, tatsächlich?«, fragte ich, um deutlich zu machen, dass ich damit nichts zu tun hatte.
»Ja«, sagte sie - und verfiel wieder in Schweigen. Was für eine Erleichterung.
Doch Frannie war noch nicht fertig mit mir. »Ich habe dir mein Auto geliehen!«, rief sie. »Und ich bin zu dir gekommen, um dich vor den
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